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und in welcher überall und immer die Blüten der Kunst und Poesie zu den nahrhaftesten Früchten reifen; ohne vorheriges Forschen, Suchen und Zweifeln, mit dem sichern Instinct, welcher durch eine bunte und verfeinerte Kultur verloren zu gehen pflegt, machte er es zu seiner Aufgabe, dem Geiste seiner Nation, wie er sich in Sage und Geschichte, in Glauben und Aberglauben, in Sitte und Unfitte kundgab, den reinsten dichterischen Ausdruck zu geben. Und indem er dies that, trat er der Empfindungs- und Denkweise auch der übrigen europäischen Völker näher als die Mehrzahl ihrer eignen Dichter, welche nach abstracten Kunstprincipien zu Werke gingen und Stoffe und Formen bald bei Griechen und Römern, bald im Orient, bald im Mittelalter suchten.

Vor einem Hörerkreise wie dem anwesenden bin ich der Mühe überhoben, ein ausführliches Bild der englischen Litteratur des 18. Jahrhunderts zu entwerfen. Ich kann daran als an eine bekannte Thatsache erinnern, daß die höheren Dichtungsgattungen oder vielmehr die einzigen Formen rein poetischer Darstellung, Lyrik, Drama und Epos, gänzlich darniederlagen, und daß das verhältnismäßig Beste auf dem streitigen Grenzgebiet der Poesie und Prosa, in der Satyre, im beschreibenden und Lehrgedicht gelang. Mit Pope's Lockenraub, seinem Versuch über den Menschen und seinen moralischen Versuchen, mit Young's Nachtgedanken, Goldsmith's Verlassenem Dorf und Reisenden, Gray's Kirchhof, Crabbe's Bibliothek, Cowper's Aufgabe, Akenside's, Roger's und Campbell's Freuden der Einbildungskraft, der Erinnerung und Hoffnung, Thomson's Jahreszeiten und Wordsworth's Skizzen ist ziemlich Alles in poetischer Form genannt, was aus jener Zeit noch in der Erinnerung der heutigen lebt. Ihre Tragödien, ihre Catos, Sophonisben und Agamemnons, ihre zierlichen Liebeslieder auf die Reize der Chloë, Daphne und Lydia, ruhen in dem Dunkel, in welches nur noch das Grubenlicht des Litteraturforschers fällt. Vereinzelte lyrische Klänge, wie das Thomsonsche Rule Britannia und die noch weiter zu erwähnenden Gedichte von Burns, tönen noch mächtig in die Gegenwart herüber, aber gerade sie liefern die beste Gewähr, daß das Schicksal der übrigen auf ewig besiegelt ist.

Man bezeichnet die litterarische Richtung jener Zeit mit dem

Namen Klassicismus. Vielleicht thäte man besser, wenn man nur von einer rein gelehrten Kunstpoesie spräche. Denn waren auch Bildung und Geschmack der Dichter durchaus klassisch, d. h. auf das griechische und vorzugsweise das römische Altertum begründet, so lag doch in diesem Umstande allein nicht das, was ihnen den eigentümlichen Character gab, sondern vielmehr in der Art, wie man die klassischen Vorbilder benußte. Wir haben es hier mit Gelehrten zu thun, welche wieder für Gelehrte schrieben, ihre Inspiration aus Büchern schöpften und in neuen Büchern verwerteten, reich an Wissen, an Geist, Wiz, Einbildungskraft, Sprach)= gewalt, an Allem, was eine ganz scholastische Bildung zu geben vermag, arm an wahrer und natürlicher Empfindung, und an der liebevollen Begeisterung, welche in ihrem Gegenstande aufgeht, und ohne welche auch der Dichter nichts ist als ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Es war ein Kultus der schönen Form, zu welchem das einseitige Studium des Altertums geeignet ist zu verführen; Eleganz des Gedankens und Ausdrucks galt für den Stempel des Genies; und bezeichnend für die Anschauung des Zeitalters war es, daß ganz wie bei uns das Wort Wiz identisch gebraucht wurde mit Poesie, was man im Sinne behalten muß, um die berühmte Popesche Definition zu verstehen: Wig ist Natur in kleidendem Gewand,

Was oft gedacht, nie bessern Ausdruck fand.

Es fehlte indeffen nicht an Ansätzen zu einer heilsamen Reaktion gegen diesen nüchternen Geist. Ich möchte dahin weniger die derb-realistischen Romane eines Fielding und Smollet rechnen, welche frische und lebendige Bilder der Alltagswelt gaben, aber zu sehr aller Idealität ermangelten, als die Versuche, die volks= tümlichen Erinnerungen und Vorstellungen wieder aufzufrischen, deren Wirksamkeit um die Mitte des 17. Jahrhunderts so gut wie erloschen war. Man kam hier und da zum Bewußtsein darüber, weshalb das poetische Leben so arm war und nur duftlose Papierblumen hervorbrachte; der Boden, auf dem man stand, war verödet; von Kindesbeinen auf mit nichts als klassischen Anschauungen genährt, fühlte man sich der eignen Heimat entfremdet; die Dichtung hatte sich vom Leben losgelöst. Man kehrte darum zu Shakespeare zurück, den man lange fast vergessen hatte; man begann den Volksliedern nachzuforschen, welche die Freude früherer

Geschlechter gewesen, jezt aber nur noch in den untersten Kreisen ein verachtetes Dasein fortführten. Die erste nennenswerte Sammlung der Art veranstaltete der Bischof Percy im Jahre 1765; ihm folgten bis 1790 Evans, Pinkerton und Ritson. Doch blieb die Wirkung dieser Bücher bis auf Scott's Auftreten nur unbedeutend. Hier und da ahmte ein englischer Dichter von natürlichem Gefühl, wie Goldsmith, den Ton der alten Balladen nach; in Schottland erstand in Burns ein echter Volksdichter, den nichts beffer charakterisiert als die Aeußerung eines schlichten Landmanns, daß die Erde schöner und der Sonnenschein freundlicher geworden sei, seit Burns seine Lieder geschrieben. Aber während dieser schon wegen seines schottischen Dialekts in England vorläufig noch ein Fremdling blieb, erfuhr die wiederbelebte populäre Poesie der Vergangenheit bei der gelehrten Dichterzunft, welche ja auch von Shakspeare im Ton einer unendlichen Ueberlegenheit sprach, nur Verkennung und Spott. Man kann es zugeben, daß das Wohlgefallen an reiner Volkspoesie ein historisches Intereffe vorausseßt und nur in seltenen Fällen ganz ästhetischer Natur ist. Wir dürfen es feinen Augenblick vergessen, daß es eben Volkspoesie ist, was wir vor uns haben, und unsre Teilnahme schwindet sofort zur besten Hälfte, wenn wir eine Täuschung erkennen, ähnlich wie die Rührung, welche der Schlag der Nachtigall oder der Anblick einer Ruine erweckt, der Gleichgültigkeit oder doch einer heterogenen Stimmung Plaß macht, sobald wir erfahren, daß beides, wenn auch mit vollständiger Naturtreue, künstlich nachgebildet ist. Bei den Aristarchen des 18. Jahrhunderts, welchen das historische Interesse fehlte, konnten der monotone Rhythmus, die trockene Einfachheit, die stereotypen Wendungen und häufigen Plattheiten der Volkslieder nur wenig Glück machen, und ihr Oberhaupt Samuel Johnson verspottete sie in mehreren Gedichten, für deren Ton eine Strophe zur Probe dienen mag:

Das holde Kind fiel auf den Stein,
Es lief auch gar zu sehr;

Die Mutter nahm das Kindelein,
Doch schrie es immer mehr.

In diesen verachteten Liedern lag aber eine neue Welt und der Keim zu einer Regeneration der Litteratur für denjenigen, der fie mit dem rechten Auge zu lesen und mit dem rechten Sinn zu

nußen wußte. Dies eben war zuerst Walter Scott. Er brachte ihnen das volle geschichtliche Verständnis entgegen, durch welches solche Stimmen der Vergangenheit, selbst in verstümmelten Bruchstücken, wie ein unmittelbarer Verkehr mit den Geistern der Vorwelt wirken; das unverbildete Gefühl, welchem die Gaben der Natur aus erster Hand lieber sind als in dem. Popeschen Kunstkleide; und die selbständige poetische Begabung, die sich nicht mit äußerlicher Nachahmung begnügt, sondern das Bild der Vergangenheit, wie es sich vor der eignen Einbildungskraft im großen und ganzen gestaltet, mit Benutzung aller Hilfsmittel eines vorgeschrittenen Zeitalters, vor die Seele des Lesers zaubert. Von den Eindrücken ausgehend, welche die Geschichten und Sagen seiner Heimat in der naiven Form des Volksliedes auf ihn machten, schüttete er jene lange Reihe epischer Darstellungen wie einen Strom aus unversieglicher Urne über den ausgedörrten, lechzenden Boden der englischen Litteratur und goß er über sein engeres Vaterland einen poetischen Glanz aus, der es für Einheimische und Fremde zu geheiligtem Boden machte. Sein erstes schriftstellerisches Auftreten hat viele Aehnlichkeit mit dem unsres Goethe. Indem er mit volkstümlichen Stoffen, mit patriotischer Begeiste= rung, mit lebensfrischer Wahrheit und Natürlichkeit des Ausdrucks den poetischen Sinn der Nation aus seiner Erstarrung weckte, und gewissermaßen die Formel, das Hephata aussprach, welches den gleichzeitigen und nachfolgenden Dichtern, den Southey, Wordsworth, Coleridge, Campbell, Byron, Moore u. a. die Binde von den Augen nahm und die Zunge löste, führte er eine neue glänzende Litteraturperiode herauf, der erste, wenn nicht der größte einer Dichterschule, welche man im Gegensatz zur bisher herrschenden klassischen die romantische genannt hat.

Das Wort Romantik hat bei uns Deutschen einen zweideutigen Sinn. Die Einen begreifen darunter alles Hohe, Edle, Ritterliche; die andern alles Phantastische, Ueberspannte, Unnatürliche, mittelalterlichen Aberglauben, kirchliche Geistesknechtschaft und politische Reaktion. Mit dem bloßen Worte ist in dem Munde der Einen eine Verherrlichung, in dem der andern eine Verurteilung ausgesprochen; in dem Grade haben litterarische Parteistellungen, und ohne Zweifel auch die Irrtümer derjenigen, welche den Namen in Anspruch nahmen, eine ursprünglich jehr

einfache Sache verdunkelt. Denn behalten wir die erste Bedeutung des Worts im Auge, wonach romantisch bei den Franzosen ein Gedicht in der Volkssprache hieß, der lingua Romana, im Gegensatz zu der lateinischen Sprache der Gelehrten, und ziehen wir dabei noch den heutigen Sprachgebrauch der Franzosen und Engländer zu Rate, so erhalten wir als die Wurzel des Begriffs Romantik das Volkstümliche, Nationale, wie es sich im Denken und Dichten der modernen christlichen Völker abweichend von einer fremdartigen Anschauungsweise, d. h. in unserm Falle von der antik-klassischen, kundgiebt. Die Romantik als litterarische Bestrebung ging zunächst auf nichts andres aus als die Schäße der Volkssagen und Volkslieder von neuem zu erschließen, die nationalen mythischen und ethischen Vorstellungen wieder zu poetischem Leben zu erwecken und die unterbrochene Einheit der geistigen Entwickelung wiederherzustellen. Ist diese Bestimmung richtig, so kann es nicht die objektive Beschaffenheit einer Vorstellung sein, was sie zu einer romantischen macht, sondern einzig ihr nationaler Ursprung, und in Folge dessen freilich auch die Macht, welche sie auf unser Gemüt ausübt. Wenn man das Romantische nach gewissen Stimmungen, die es hervorruft, beurteilt und bald empfohlen, bald verworfen hat, so durfte man nicht außer Acht laffen, daß eben nur sein volkstümlicher Charakter es möglich machte, jene Stimmungen zu erwecken. Es giebt z. B. im Altertum sehr ähnliche Sagen wie die vom Meerweib und Erlkönig, u. a. die vom Raube des Hylas und von den Sirenen; wenn Telemach in der Odyssee die Besorgnis ausspricht, daß sein Vater von den Harpyien entführt sein möchte, so geschieht das im Sinne des Griechen gewiß mit einer Anwandlung von Grauen. Für uns find aber die Sirenen und die Entführung des Hylas nur hübsche Phantasiebilder, und Telemachs Ausdrucksweise eine leere Phrase, während uns Goethes Fischer und Erlkönig, als echt germanische Vorstellung, bis in die Tiefen der Seele ergreifen. Dieser Unterschied erklärt manche Feindseligkeit, welche die Romantik erfahren hat. Man hat ihr Schuld gegeben, daß sie durch abergläubischen Spuk sich an die Nachtseite der menschlichen Seele wende, während das Altertum den Sinn mit heitern plastischen Göttergestalten entzücke. In Wahrheit war das Altertum mit seiner Götter- und Dämonenfurcht mindestens ebenso abergläubisch)

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