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Walter Scott.
Eine Vorlesung.

Daß das Interesse für englische Litteratur schon im vorigen Jahrhundert bei uns Deutschen sehr groß gewesen, lehrt uns von Bodmer herab jedes Blatt unsrer Litterärgeschichte. Von geringerem Umfange, war es ohne Zweifel intensiver und wirksamer als heutzutage. Man suchte damals in viel höherem Grade als jezt bei den Schriftstellern selbst der poetischen Gattung nicht blos Unterhaltung und Genuß, sondern auch Belehrung und Beispiel. Man sah sich nach Führern um, die unsicheren Schritte der eig= nen Entwickelung zu leiten, und physische wie geistige Stammverwandtschaft zog uns unter den Neueren besonders zu den Engländern hin.

Aber dies Verhältnis, so innig es war, bezog sich doch im wesentlichen nur auf die Stimmführer der Nation und berührte das große Publikum nur mittelbar. Wenigstens zeigte das letztere feine selbständige Aufmerksamkeit auf die Tageserscheinungen der englischen Litteratur und bedurfte beständig des Hinweises und der Anleitung. Es verrät sich dies besonders in dem zögernden Erscheinen deutscher Uebersetzungen selbst von solchen Werken, welche sich durch ihre prosaische Form zu einem bequemen Gegenstand der Spekulation eigneten. Die berühmtesten englischen Romane, die Clarissa, der Peregrine Pickle, der Tristram Shandy, der Roderick Random, der Tom Jones fanden erst nach 3, 4, 6, 7, der lezte gar erst nach 30 Jahren deutsche Uebersetzer. Die schleunigsten Bearbeitungen erlebten Richardsons Grandison, Smollets Humphrey Clinker, Sternes empfindsame Reise und

Goldsmiths Landprediger, und doch verstrich auch bei ihnen ein volles Jahr zwischen Original und Uebersetzung.

In dieser Beziehung ist der Verkehr in unserm Jahrhundert in merklich rascheren Schwung gekommen. Es trat eine Zeit ein, wo das selbständig gewordene Interesse des Publikums der Stimme der Kritik vorauseilte, und wo man die neuesten Erscheinungen der englischen Litteratur, wenigstens auf Einem Gebiet derselben, fast mit derselben Spannung erwartete wie politische Nachrichten. An den verschiedensten Orten entstanden Uebersetzungsfabriken, die einander an Schnelligkeit zu überbieten strebten; die Bücher gingen bogenweise aus den Londoner und Edinburger Druckereien dahin ab; und es war etwas Gewöhnliches, Uebersetzung und Original gleichzeitig ausgegeben zu sehn. Es konnten auf diesem Wege nicht Arbeiten entstehn, welche mäßigen oder gar strengen Anforderungen gerecht wurden, aber es galt auch nur, den Heißhunger von Lefern zu befriedigen, welche an jenen Erzeugnissen ein rein stoffliches Interesse nahmen und kaum zu dem Bewußtsein gelangten, daß sie es mit Hervorbringungen der Kunst zu thun hatten.

Es ließe sich vielleicht der genaue Zeitpunkt angeben, mit welchem dieser hastige litterarische Verkehr seinen Anfang nahm; jedenfalls knüpft er sich an Einen Namen und Eine Schriftgattung, die Waverley-Romane Walter Scotts. In ihnen ist aber nicht blos der Beginn, sondern wahrscheinlich auch der Höhepunkt des bezeichneten Verhältnisses zu suchen. Die große Verbreitung, welche spätere englische Novellisten bei uns gefunden haben, ist zum Teil eine von Scott überkommene Erbschaft, eine Nachwirkung seiner Popularität, und es läßt sich zweifeln, ob irgend einer von ihnen das Interesse zu schaffen vermocht hätte, welches sie schon vorfanden. Alle späteren haben ihre Glanzperiode gehabt und noch bei Lebzeiten andern Platz machen müssen; keiner von ihnen hat, bei der ausgeprägtesten Eigentümlichkeit, einem ganzen Litteraturzweige seinen Stempel aufgedrückt; Walter Scott herrschte auf dem Gebiet des Romans bis zu seinem Tode fast allein und unumschränkt, und hatte keine Nebenbuhler, sondern nur Nachahmer.

Dieselbe Anerkennung fand er in Frankreich, in Italien, in Nordamerika, in der ganzen gebildeten Welt, durch alle Schichten

der Gesellschaft. Er war ohne Zweifel der bekannteste und ge= feiertste Schriftsteller seiner Zeit, selbst Goethe und Byron nicht ausgenommen. Ueberall trat nach seinem Vorgang der Roman in den Vordergrund der schönen Litteratur und nahm die besten Kräfte für sich in Anspruch. Ueberall und darauf möchte ich einen besondern Nachdruck legen - erregten seine Werke das allgemeine Interesse für seine Person, welches sonst nur heimischen Dichtern und Helden entgegenzukommen pflegt. Sein Porträt, Abbildungen von seinem Wohnhause in Abbotsford, von Allem was ihn nahe anging, bis auf seine Hunde herab, fanden auf dem Kontinent weit und breit Absah. Auf seinem ersten Besuche in Paris, den er im Gefolge der Sieger von Waterloo zu einer Zeit machte, wo er die Romanschriftstellerei kaum begonnen hatte und seinen Ruhm ausschließlich seinen Gedichten verdankte, empfing er in der Beeiferung, mit welcher Fürsten, Feldherren und Staatsmänner ihn in ihre Nähe zogen und mit Ehren überhäuften, gleichsam die Huldigungen ganz Europas. Sie waren schmeichelhaft genug, allein vielleicht gab er für sie nicht den Blumenstrauß hin, welchen auf einem späteren Besuch, als durch die Romane sein Verdienst verständlicher geworden und sein Ruhm in das Volk hinabgedrungen war, die Damen der Halle ihm durch eine feierliche Deputation überreichten.

Alle diese Anerkennung war jedoch matt und falt im Vergleich mit der Liebe, der fast abgöttischen Verehrung, welche sein Vaterland ihm darbrachte. Seit dem Erscheinen seines ersten größeren Originalwerkes, des letzten Minstrel, galt er für den größten englischen Dichter seiner Zeit, und diesen Plaß behauptete er fast unangefochten nicht blos in der öffentlichen Meinung, sondern auch im Urteil seiner Nebenbuhler, unter denen der bedeutendste, Lord Byron, ihn zwar in einem satyrischen Jugendgedicht angetastet hatte, in reiferen Jahren aber ihm, und nur ihm, Superiorität zuerkannte. Seine Wohnung in Ashestiel und später in Abbotsford war ein Wallfahrtsort für alle Reisenden. Bei seinen Besuchen in London wurde er der Mittelpunkt der vornehmsten Kreise, wie aller geistreichen Cirkel, und man erzählt es ausdrücklich was in dem aristokratischen England mehr als anderswo zu sagen hat - daß die Ehren, welche man ihm erwies, um nichts geringer waren als diejenigen, welche dem ersten

die

Unterthan des Reichs, dem Herzoge von Wellington, galten. Er war der erste in England, der für kein andres als schriftstellerisches Verdienst in den Stand der Baronets erhoben wurde. Als er im Jahr 1831, ein Jahr vor seinem Tode, zur Wiederherstellung seiner zerrütteten Gesundheit eine Reise nach Neapel machen sollte, stellte ihm die Admiralität eine der schönsten königlichen Fregatten, wahrhaft fürstlich ausgerüstet, zu persönlicher Verfügung. Ueberall, wo er gelegentlich erschien, in London, in Dublin, und selbst in Edinburg, wo er so gut wie zu Hause war, sammelte sich das Volk um seinen Wagen, um ihn einsteigen und abfahren zu sehn, mit den Zurufen, welche sonst die Auszeichnung der Fürsten find. Als er im Jahr 1825, auf dem Gipfel seines Ruhms, eine Reise durch Irland machte, wurden bei seiner Annäherung in Dörfern und Städten die Glocken geläutet. Unter den unzähligen Ovationen, welche er erfuhr und wieder vergaß, war es eine, deren er sich noch nach Jahren besonders gern erinnerte. Er war bei der Krönung Georgs IV. in London anwesend und geriet nach Beendigung der Feierlichkeit mit einem Freunde in ein lebensgefährliches Menschengedränge. In der Mitte der Straße bildeten schottische Gardisten ein Spalier, um einen Weg für den Hof freizuhalten. Jede Bitte, hier durchgelassen zu werden, wurde barsch abgewiesen. An dies Spalier herangedrängt, rief der Begleiter dem Dichter zur Warnung zu: Nehmen Sie sich in Acht, Sir Walter Scott! Ein Unteroffizier hörte das; Sir Walter Scott! rief er aus, der passirt überall. Und zu seinen Kameraden fich wendend: Plaß gemacht für Sir Walter Scott! Der Dichter schritt mit seinem Freunde die Reihen hinab, überall von dem Zuruf begrüßt: Gott segne euch, Sir Walter!

Einen nicht minder augenfälligen und willkommenen Beweis für seine Popularität erhielt er durch seine schriftstellerischen Hono= rare. Wohl nie vor ihm hat jemand von seiner Feder eine glänzendere Einnahme gehabt. Das Gedicht Marmion brachte ihm 7000 Thlr., der Guy Mannering 14000, die 4 in einem Jahr geschriebenen Romane Ivanhoe, das Kloster, der Abt und Kenilworth zusammen über 100,000, Woodstock allein 57,000, das Leben Napoleons 130,000 Thlr. Wir greifen sicherlich nicht zu hoch, wenn wir die schriftstellerische Einnahme seiner besten Zeit auf 70,000 Thlr. jährlich, und die Summe seiner Verlags-Hono

rare auf eine Million veranschlagen. Er hätte sie noch verdoppeln und verdreifachen können, wenn er nicht zu Gunsten der altbefreundeten Firmen Ballantyne und Constable alle Anträge anderer Verleger abgelehnt hätte.

In so großartigen und ausgedehnten Erfolgen liegt an sich etwas Imposantes, und es gehört ein gewisser Mut dazu, sich mit ihnen in offenen Widerspruch zu setzen. Wenn demnach ein berühmter deutscher Litterarhistoriker Walter Scott mit verrufenen Vielschreibern in Eine Reihe stellt, ihm den Dichternamen so gut wie abspricht, und es übel vermerkt, daß auch Goethe sich zu seinem Lobredner hergegeben, so verdient das sichre und durch unzweifelhafte Erfolge befestigte Selbstvertrauen, mit dem dies Urteil ausgesprochen ist, gewiß alle Anerkennung. Einer Untersuchung jedoch, wie weit dasselbe begründet sei, würde ich unter allen Umständen aus dem Wege gehen, selbst wenn ich gegen die einstimmige Pietät, mit welcher man in England noch heute Walter Scott's Namen ausspricht, auf ein vereinzeltes Verdammungsurteil ein erhebliches Gewicht legte. Es ist weder meine

Absicht, Sie zu einem Gange auf das schlüpfrige Gebiet der Kunstkritik einzuladen, noch an das Gefühl derjenigen zu appellieren, welchen Walter Scott das Entzücken ihrer Jugendzeit gewesen ist, und welche es dem Dichter noch heute Dank wissen, daß er keine Zeile geschrieben, die man bedauern müßte, damals gelesen zu haben, daß er seinen Darstellungen keinen Tropfen Gift beigemischt, kein Laster beschönigt, keine Begierde erregt, keine fittlichen Begriffe verwirrt, sondern Kopf und Herz mit großen Bildern, starken Empfindungen und gesunden Lebensmarimen genährt hat. Vielmehr gebe ich von vorne herein zu, daß eine Anerkennung und Popularität, wie Walter Scott sie genoß, nicht allein durch ästhetische oder ethische Vorzüge erklärt werden kann, und daß es noch etwas andres sein muß, wodurch er frühere und gleichzeitige, vielleicht größere Dichter überflügelt hat. Worin dies andre nach meiner Ueberzeugung bestanden, mag am besten gleich im Eingange gesagt sein. Walter Scott war ganz und gar ein nationaler, oder wenn man will, ein Volksdichter. Fast ohne Bewußtsein, aus dem innersten Drange seiner Natur, betrat er eine Richtung, zu welcher nach langen Abirrungen alle modernen Litteraturen, doch meistens tappend und unsicher, hinstrebten,

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