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Zur Shakespeare'schen Textkritik.

Ein Sendschreiben.

Sie haben so Unrecht nicht, verehrter Freund, wenn Sie Ihrer Einladung, Ihnen für das nächste Jahrbuch einen Beitrag zur Kritik des Shakespeare'schen Textes zu liefern, die Bemerkung hinzufügen, daß Sie nach unserer persönlichen Begegnung im lezten Jahr nicht eben Emendationsversuche von mir erwarteten. In der That möchte es kaum Jemand geben, der gegen die meisten Vorschläge Anderer zur Aufbefferung des überlieferten Tertes zurückhaltender und zu eignen Experimenten der Art schwerer entschlossen wäre. Es muß eine zwingende, gar nicht abzuweisende Notwendigkeit sein, die mich bestimmen soll, von Konjekturen Notiz zu nehmen und sie wohl gar in den Tert hineinzukorrigieren. Sie würden mich aber verkennen, wenn Sie annehmen wollten, daß ich die Berechtigung des Emendierens an und für sich in Abrede stellte oder aus einem Fehler des Temperaments für den Reiz unempfänglich wäre, den eine wirkliche geistvolle Wiederherstellung des verlorenen oder entstellten dichterischen Gedankens auf jeden sinnigen Menschen üben muß. Ich wäre wahrlich der lezte, welcher den Männern, deren Scharfsinn und Feingefühl uns nicht selten aus dem Schutt verworrener Buchstaben das ächteste Gold der Poesie hervorgezaubert hat, den gebührenden Dank verfümmern wollte. Auch konnte mich eine tägliche Benutzung der ersten Folio in dem schönen photolithographierten Abdruck von Staunton keinen Augenblick darüber im Zweifel lassen, daß der alte Tert zwar nicht in dem Grade, wie man es gewöhnlich darstellt, korrumpiert, aber doch an unzähligen Stellen der Korrektur durchaus benötigt ist.

Wollte man den Conservativen und Reformern, in welche beiden Hauptparteien auch die Tertkritiker sich scheiden, ihren leitenden Grundsay abfragen, so würden ihre Antworten vermutlich die oberste Richtschnur alles verständigen Verfahrens erklären, daß einmal der in den alten Ausgaben gebotene Tert unbedingt und unzweifelhaft corrumpiert sein müsse, um eine Aenderung zu rechtfertigen, und daß ferner nur diejenige Emendation Anspruch auf Anerkennung habe, welche in nachweislichem Einklange und Zusammenhange mit der Ausdrucksweise, dem Stil und Charakter des Dichters steht. Aber so einfach und selbstverständlich dieser Kanon scheint, so wenig vermag er doch in der Praxis zur Verständigung zu führen, da in jedem einzelnen Fall die Meinungen über das, was für verdorben gelten soll, und über das, was den gegebenen Bedingungen gemäß ist, himmelweit auseinandergehn. Wollen die Einen Alles erhalten wissen, was nur überhaupt eine Deutung zuläßt, so zweifeln die Andern nicht bloß das absolut Sinnlose an, sondern Alles, was ihnen nicht poetisch, nicht geist= reich, nicht logisch genug vorkommt, was sie selbst nach ihrer Meinung besser hätten machen können, überkleiden die vermeintlichen oder ja wohl auch möglichen dichterischen Schwächen mit ihren Schönpflästerchen, und würden, wenn nicht zum Glück die meisten Editoren in Bezug auf fremde Konjekturen sich möglichst ablehnend verhielten, aus dem Shakespeare'schen Text bald das gemacht haben, was der Dichter selbst mit einem seiner bezeich= nendsten Ausdrücke patchery nennt.

Für dieses Verbesserungsfieber, an welchem mehr oder weniger selbst Männer leiden, denen die Litteratur außerordentlich viel verdankt, wüßte ich kein besseres Heilmittel vorzuschlagen, als ein anhaltendes und sorgfältiges Studium der großen Cambridger Ausgabe, in welcher, wenn auch leider nicht Alles, so doch ziem= lich Alles zusammengestellt ist, was bisher für die Textkritik geschehen. Da begegnet man durchschnittlich wohl bei jeder dritten Zeile den Einfällen heißblütiger Emendatoren, über welche. die Zeit ruhig aber unerbittlich zur Tagesordnung übergegangen und zum Tert der Folios und Quartos zurückgekehrt ist. Wen hier die Spuren nicht schrecken, für den ist jedes Memento mori vergebens. Wer aber einigermaßen aus der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen gelernt hat, wird nicht unschwer zu der

Folgerung gelangen, daß auch das Meiste von dem, was die Koryphäen der heutigen Kritik an Konjefturen zu Markte gebracht haben, einst denselben Weg des Todes treten wird, und wenn er diesem Gedanken nachhängt, wird seine Seele unfehlbar bei jedem Schritt stiller werden".

Man kann es unserer Zeit ohne Ruhmredigkeit bezeugen, daß sie, Alles in Allem genommen, die alten Texte mit größerer Vorsicht und Pietät behandelt, als die ersten Herausgeber, welche sich zwar das dauernde Verdienst erwarben, sie von den offenbarsten Druckfehlern zu säubern und damit lesbar zu machen, aber zugleich das Kind mit dem Bade ausschütteten, indem sie ihre eigene Sprache an Stelle der Shakespeare'schen seßten und Alles, was ihnen unverständlich geworden war, glaubten korrigieren zu müssen. Wenn man gegen dies Verfahren gegenwärtig einen unleugbaren Fortschritt wahrnimmt, so ist das eine natürliche Frucht der erweiterten Litteratur- und Sprachkenntnis, welche sich zur Zeit Rowes und selbst Johnson's in den Windeln, und kaum noch in den Windeln befand. Heutzutage ist sie soweit herangewachsen, daß sie sich schon mit einer gewissen Artigkeit zu bewegen weiß, aber sie steht doch noch schwach auf den Füßen, und ehe man sich's versieht, kommt sie zu Falle. Erst wenn sie sich zu ihrer vollen Kraft entwickelt haben wird, darf man auf eine Tertkritik rechnen, die mit sicherer Herrschaft über das dem Dichter eigentümliche Sprachgebiet und nach unumstößlichen Regeln zu Werke geht, statt, wie es sich gerade trifft, mit glücklichen oder unglücklichen Einfällen um sich zu werfen. Eine solche Kritik das läßt sich nicht bezweifeln wird Manches beseitigen, was bisher noch Niemandem verdächtig erschienen; häufiger aber wird sie in ein ungeahntes Licht stellen und. vollständig rechtfertigen, was man bisher für ein bequemes Nebungsobject des divinatorischen Scharfsinns angesehn.

Erlauben Sie mir, es an einigen Beispielen deutlich zu machen, daß ich mit gutem Grunde dies für den natürlichen Entwickelungsgang der Textkritik halte. So spärlich sie auch ausfallen mögen da es mir vor der Hand an der nötigen Muße fehlt, etwas Umfassendes zusammenzustellen so werden. sie doch hinreichend darthun, daß unsere englische Sprachkenntnis noch nach allen Seiten hin, sowohl was ihren lerikalischen Umfang,

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als was die Sicherheit der Hermeneutik und Grammatik betrifft,

an großen Lücken leidet.

Measure for Measure III, 1, 89*) sagt Isabella zu ihrem

Bruder Claudio in Bezug auf Angelo:

Claudio. Isab.

This outward-sainted deputy,

Whose settled visage and deliberate word

Nips youth i' the head and follies doth emmew
As falcon doth the fowl, is yet a devil;

His filth within being cast, he would appear
A pond as deep as hell.

The prenzie Angelo!
O, 'tis the cunning livery of hell,

The damned'st.body to invest and cover

In prenzie guards!

Vor den Cambridger Editoren hat jeder Herausgeber das Wort prenzie, obgleich es sich in vier Versen zweimal wiederholt, ohne Weiteres für eine Korruption gehalten und bald princely, bald precise an die Stelle gesetzt. Man hätte wohl so viel Taft haben können, zu fühlen, daß weder princely oder precise in den Mund des frivolen und durch seine Behandlung gereizten Claudio paßt. Aber beides gab doch einen Sinn, während prenzie von vornherein für Nonsens erklärt wurde. Nun haben aber die Cambridger durch einen glücklichen Zufall - mehr kann man es nicht nennen int Glossarium der Burns'schen Poems gefunden: Primsie demure, precise, zimperlich", also fast genau dasselbe Wort, genau in derselben Bedeutung, deren man an unserer Stelle bedurfte. Ich habe mich die Mühe nicht verdrießen lassen, Burns' Gedichte nach dieser Vokabel zu durchsuchen; sie findet sich nur in der neunten Strophe von Halloween:

=

Poor Willie, wi' his bow-kail runt,

Was brunt wi' primsie Mallie;
An' Mallie, nae doubt, took the drunt,
To be compar'd to Willie;

Mall's nit lap out wi' pridefu' fling,
An' her ain fit it brunt it;

*) Die Citate find nach der Globe-Edition.

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Es kann keine Frage sein, daß wir ein dialektisches Derivativum von prim vor uns haben, dessen Bedeutung sich in ähnlicher Richtung entwickelte wie die des allgemein gebräuchlichen nice; aber ich möchte nicht raten, für prenzie nun primsy zu seßen, sondern lieber abzuwarten, ob sich nicht noch eine neue Spur für die Geschichte des Wortes findet. Clarke behauptet, bei Skelton in demselben Sinne prender gelesen zu haben. Ein solcher Fall, sollte ich meinen, müßte zur Vorsicht mahnen. Wer fann wissen, ob nicht einst auch das berüchtigte Ullorxa in Timon III, 4, 112 verständlich werden wird? Was hilft es uns, wenn an Stelle des Verses

Lucius, Lucullus and Sempronius Ullorxa, all Collier korrigiert:

Lucius, Lucullus and Sempronius, all, look, sir;

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Walker:
Delius:

Grant White:
Keightley:

Sempronius, Valerius, all;

Sempronius O my lord!
Sempronius, Ventidius, all;
Sempronius, all on 'em, all;

die Cambridger: Sempronius: all, sirrah, all.

All;

Keine einzige von all diesen Verbesserungen hat das Gepräge der Untrüglichkeit, oder auch nur einer dringenden Wahrschein= lichkeit, und ein besonnener Herausgeber wird am besten thun, Ullorxa ruhig stehen zu lassen und ein Non liquet dabei zu sehen.

Aber nicht nur unsere Kenntnis des Englischen überhaupt nach seinen verschiedenen Perioden und Dialekten ist noch äußerst lückenhaft, sondern der eigenste Sprachschat Shakespeare's, mit welchem man nach einer anderthalbhundertjährigen Kommentatorenarbeit die vollständigste Vertrautheit voraussetzen sollte, bedarf noch sehr der Forschung und Sichtung. Wir können nicht mit Bestimmtheit behaupten, daß wir mit jedem Wort bei ihm den Sinn verbinden, den er damit verbunden hat, und was seine Art der Wortbildung und Verbindung betrifft, so find wir noch keinen Augenblick über eine gelegentliche und fragmentarische Erläuterung und Deutung hinausgekommen. Ja wir kennen nicht einmal mit

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