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keine Aufforderung zum Studium der englischen Literatur. Ein allgemeines Interesse für jede, auch die unvollkommenste Kulturform existirte noch nicht; freinder Muster glaubte man entbehren zu können, da man sich auf der Höhe menschlicher Kunst und Wissenschaft wähnte und auch die Alten, von deren Beispiel man ausgegangen war, weit hinter sich gelassen zu haben meinte; und am wenigsten waren die politischen Verhältnisse der Art, daß man eine Nötigung empfunden hätte, sich um das geistige Leben Englands zu bekümmern. Eine achtunggebietende Stellung nach außen scheint für Nationen eine wesentliche Bedingung auch zu literarischer Geltung; England aber zeigte sich in dem Jahrhundert, in welchem sich Frankreichs Literaturblüte entfaltete, nicht nur politisch ohnmächtig, sondern es galt unter den letzten Stuarts geradezu für einen französischen Vasallenstaat. Als Wilhelm III. dies unwürdige Verhältniß aufhob und er und seine Nachfolger ihre glänzendsten Siege über franzöfifche Waffen davontrugen, nahmen die Dinge sofort eine andere Gestalt an. Man begann sich um die Literatur des Feindes zu bekümmern, während man die des Freundes nicht der Beachtung werth gehalten hatte, und schon am Ende des 17. Jahrhunderts begegnen wir Nachahmungen englischer Dramen, zunächst freilich nur aus der Periode der Restauration. Wer der erste Franzose gewesen, der seinen Landsleuten von Shakspeare gesprochen habe, ob Destouches oder Montesquieu oder Voltaire, darüber haben die Literaturhistoriker nicht bestimmt entscheiden wollen; Voltaire hat dies Verdienst wiederholt und nachdrücklich für sich in Anspruch genommen, und wol nicht ganz mit Unrecht, denn eine briefliche Erwähnung des Namens Shakspeare bei Montesquieu kann unmöglich für eine Einführung des Dichters in das französische Publikum gelten; und Destouches scheint in London shakspearesche Stücke gesehen zu haben, ohne nach ihrem Verfasser zu fragen. Der eine kaunte vor Voltaire den Namen ohne die Werke, der andre einzelne Werke ohne den Namen.

Voltaire, bereits durch drei Tragödien, Oedipus, Artemire und Mariamne, als nicht unwürdiger Nachfolger Corneilles und Ra

sait aussi l'anglais! Vous devriez bien l'apprendre. Ja, noch 1762′ meldet d'Alembert an V. (69, 208), daß niemand in der fr. Academie Shakspeare im Original gelesen habe.

cines rühmlichst bekannt, brachte etwa zwei Jahre (1726—28) als Verbannter in England zu*). Er hielt sich und galt seitdem für einen besonderen Kenner englischer Zustände, sprach gern und mit aufrichtiger Bewunderung von den dortigen öffentlichen Einrich tungen, trug seine englische Sprachkenntnis mit der Ostentation eines Dilettanten zur Schau**), und erzählte wol gar, wie er sich nach seiner Rückkehr sö vollständig anglisirt gefühlt habe, daß ihm beim Französischschreiben die Worte nicht mehr wie sonst zuströmen wollten ***). Jedenfalls war sein Londoner Aufenthalt für ihn, und durch ihn für die französische Literatur von ungemeiner Wichtig= feit. Die Bekanntschaft mit Newton, Locke und den englischen Deisten entschied seinen Lebensberuf; er fand hier einen unermeßlichen, für Frankreich noch neuen Gedankenstoff, dem er ein Talent der Form entgegenbrachte, wie es vielleicht kein zweites gegeben; durch seine Gabe der populären Darstellung, seinen Wiz, seine unermüdliche Schlagfertigkeit und seine Unverdrossenheit im Wiederholen des hundertmal Gesagten, wurden Ansichten, welche in dem Lande der Oeffentlichkeit und der freien Debatte fast spurlos vorübergingen, in dem Lande der Preßverfolgungen und der Calasschen Processe zum Gemeingut der denkenden Bevölkerung. Doch diese Seite seiner Thätigkeit liegt außerhalb unsrer Aufgabe. Wir suchen nur die Antwort auf die Frage, wie weit seine Fähigkeit und sein guter Wille gegangen, den Charakter des englischen Dramas zu verstehen, insofern Shakspeare denselben repräsentirte, und

*) Es ist von geringer Erheblichkeit, mag aber doch nicht unerwähnt bleiben, daß die Literaturgeschichten — ich weiß nicht, auf welche Autorität hin ihn drei Jahre, bis 1729, in England bleiben lassen. Er selbst spricht stets von deux ans oder près de deux ans (3. B. 56, 193), und giebt in seiner Selbstbiographie ausdrücklich 1728 als das Jahr seiner Rückkehr an (48, 97). Die Daten seiner Londoner Briefe machen die Sache

ganz unzweifelhaft.

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sehr spärlichen

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57, 276: Je You learn

**) Seine Briefe spickte er gern mit englischen Phrasen; so 15, 50: Je ne sortirai que ce jour-là, et je serai à midi au parterre. I love you with all my heart. 15, 190: Farewell, great and amiable man etc. serais fort aise d'avoir votre avis sur ce que je dis de Milton. English, for aught I know. Go on; your lot is to be eloquent in every language, and master of every science; I love, I esteem you, I am yours for ever. Je vous ai écrit en faveur d'un jeune homme etc.; und unzählig oft. ***) 1, 296.

ob er auf das Verdienst, Shakspeare in Frankreich eingeführt und eine Reform des Dramas unternommen zu haben, begründeten Anspruch machen kann.

Für gewisse Mängel der französischen Bühne war er nicht blind. „Bei allen Schönheiten, sagt er*), litt unsere Bühne an einem verborgenen Fehler, den man nicht gewahr wurde, weil das Publikum von selbst nicht deutlichere Begriffe haben konnte als die Meister der Kunst. Dieser Fehler wurde erst von St. Evremond hervorgehoben; er bemerkt, daß unsre Stücke keinen hinlänglich starken Eindruck machen; statt des Mitleidens erregten sie höch= stens eine sanfte Rührung (de la tendresse); die Bewegung vertrete die Stelle des Ergriffenseins (saisissement), die Verwunderung die des Entsezens; es fehle unsern Empfindungen an der rechten Tiefe. Man muß gestehn, daß St. Evremond den Finger auf die geheime Wunde des französischen Theaters gelegt hat. Es hat uns fast immer am gehörigen Grade Wärme gefehlt, alles Uebrige hatten wir." Diese Stelle hat schon Leffing in seiner Dramaturgie mit dem Zusaß angeführt, daß an allem Uebrigen nichts gelegen sei, wenn die Tragödie ihre eigentliche Absicht verfehle, die Erweckung des Mitleids. Den Hauptgrund jener Wirkungslosigkeit berührt Voltaire in seiner weiteren Auseinandersetzung nicht. Er nennt den esprit de galanterie, die Neigung zu conversations, die mesquinerie der Theatergebäude u. s. w., nicht aber - was an Allem Schuld war die völlige Trennung der Literatur vom Leben, ihre Entfremdung von allen nationalen Intereffen, von den Erinnerungen der eigenen Vergangenheit, von allen heimatlichen Anschauungen und Empfindungen, die ausschließliche literarische und pädagogische Geltung des klassischen Alterthums, welche noch überall, wo sie in dem Maße Plaz griff, zum Kultus der bloßen Form,. zur Austrocknung der eigentlichen Lebensquellen der Poesie geführt hat. Diese Richtung lag überhaupt in der Zeit und beherrschte Deutschland und das nachshakspearesche England nicht minder als Frankreich; in letzterem Lande that ihr aber mehr als irgendwo die staatliche Centralisation Vorschub.

*) 47, 267. Daß bei der zunächst folgenden Zusammenstellung die Chro nologie von untergeordneter Bedeutung schien, mag zum Ueberfluß bemerkt werden.

Das L'état c'est moi war ein Wort von unberechenbarer Tragweite: nicht nur der politische Organismus, auch das geistige Leben, die Literatur war zunächst nur für Ludwig XIV. da, die Tragödie für die Hofbühne von Versailles geschrieben. Ihr Ton und Styl mußte der poetisch zugestußte Ton und Styl des Hofes sein, wo es schon ein großes Verdienst war, durch Inhalt und Ausdruck keinen Anstoß zu geben. Dem allmächtigen Fürsten, für den man dichtete, durfte man von keinem Volk, am wenigsten von einem französischen Volk sprechen, oder von Dingen, die die Menge ebenso gut und wohl noch mehr interessirten als ihn; Alles, was in ihren Herzen einen selbstständigen Nachhall gefunden hätte, „alles Große, wie la Bruyère sagte, war ein verschlossenes Gebiet, und dem Dichter blieb nichts übrig als sich mit Kleinigkeiten zu beschäftigen, denen er durch die Schönheit des Styls ein Ansehn gab". Da war denn das neutrale Gebiet des Altertums will= kommen, zu dessen lebendigerem Verständnis jede Brücke abgebrochen war und dessen Republikanismus sogar sich für Schule und Leben gleich harmlos erwies*). Moderne Stoffe wurden hin und wieder wol gewählt, kamen aber immer mehr aus der Mode und erschienen am Ende als unerlaubt. Dazu kam dann noch der Anreiz, mit den gefeierten Griechen auf ihrem eigenen Grund und Boden einen Wettkampf einzugehn, bei dem man selber den Preisrichter spielte und sich nach willkürlichen Sazungen den Sieg zuschreiben konnte, während man freilich in den Augen aller wahren Sachverständigen die vollständigste Niederlage erlitt.

Gelegentlich streift Voltaire an den Kern der Frage an. Das französische Drama sei arm an Handlung und großen Interessen, schreibt. er 1735**), weil die Nation keine solche kenne. Er beneidet die Engländer, daß bei ihrem Theaterpublikum das Wort Vaterland denselben Applaus hervorrufe wie in Frankreich das Wort Liebe***). Doch solchen Aeußerungen

**) Als Lafosse 1698 Ottway's Venice preserved für die französische Bühne bearbeitete, mußte er aus Venedig Rom, ans Pierre Manlins, aus Priuli Valerius machen, u. s. f. Volt. 1, 301. Lacr. 9. Das Treffendste, was über diesen Gegenstand wol je gesagt ist, oder gejagt werden kann, steht in Rousseaus Nouv. Héloise 2. Th. 17. Br.

**) 56, 311.

***) 2, 8.

wird man wenig Gewicht beilegen, wenn er an derselben Stelle hinzufügt, zur Zeit Corneilles sei das anders gewesen, damals seien die Gemüther erfüllt gewesen von den Kriegen der Fronde, und eben darum habe ein Dichter erstehen können wie Corneille.

In der Regel sind es nur Aeußerlichkeiten, worin er den Grund für die Kälte und Effectlosigkeit des französischen Dramas sucht. Er ist unerschöpflich in Klagen über den engen Bühnenraum, der es nicht gestattete, große Zurüstungen zu machen, Triumphzüge, Feierlichkeiten aller Art, kurz. das zu veranstalten, was er unter dem Namen appareil begreift, und worin er den einzigen Vorzug des griechischen Theaters sieht*). Den meisten Verdruß machte ihm die üble Sitte, daß vornehme Zuschauer das Recht und die Gewohnheit hatten, zu beiden Seiten der Bühne auf eigens dazu bestimmten Sesseln Platz zu nehmen, wodurch sie den Spielraum oft dermaßen beengten, daß die Reifröcke der Phädren und Denonen nur mit Mühe sich dazwischen bewegen konnten**). Den Grafen Lauraguais, welcher in Folge eines mehr lächerlichen als ärgerlichen Auftritts in der Semiramis diesen Mißbrauch in Paris endlich abstellte, preist er als den größten Wohlthäter der schönen Künste und des guten Geschmacks ***). Das Uebel war allerdings arg, und nicht blos wegen der Raumbeschränkung. Die Zuschauer auf der Bühne benahmen der Handlung alle Illusion, und was noch schlimmer war, sie wirkten höchst nachteilig auf den dramatischen Styl. Denn da es meist jüngere Leute waren, die mit ganz andern Gedanken hinkamen als an die Aufführung, so konnte es nicht fehlen, daß sie manches sehr störende Zwischenspiel zum Besten gaben. Sie gaben überdies bei jeder unpassend erscheinenden Gebärde, bei jedem verfänglichen Wort das Signal zu Spott und Gelächter und trugen nicht wenig dazu bei, die Furcht vor der Lächerlichkeit, diese Todfeindin des Tragischen, zu krankhafter Reizbarkeit zu steigern +). Dem unglücklichen. Dichter schwebten am Schreibtisch nicht nur die einschüchternden Gestalten Ludwigs XIV.

*) 3, 340. 4, 354. 9, 404. 15, 199.

**) 1, 300. 3, 340. 12, 177. 47, 269. ***) 8, 3.

†) 5, 85: Il est à croire que c'est cette crainte du ridicule, qui a presque toujours resserré la scène française dans le petit cercle des dialogues, des monologues et des récits.

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