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. Folio ihre Ergänzung. Aber nicht blos in der Quantität, sondern auch in der Qualität ist ein Unterschied wahrnehmbar. In der Folio erkennen wir wohlüberlegte Streichungen der Regie, welche selbst halbe und ganze Scenen nicht verschonte, in den Quartos eigenmächtige Kürzungen der Schauspieler, welche sich die Sache möglichst leicht zu machen suchten. Sie finden sich nämlich durchweg in der Mitte längerer Reden oder doch an Stellen, wo dieselbe Person das Wort behält; ein paarmal auch am Schlusse der Scene, wo man still abtreten und seine Rede schuldig bleiben konnte. Das Bestreben war sichtlich nur darauf gerichtet, das Stichwort fest zu halten, auf welches der Zwischenredner wartete. Vgl. I, 1, 41-46; 50-51; 65-66; I, 2, 118 bis 124; 181-187; I, 4, 345-356; II, 4, 99-100; 104; 142 bis 147; III, 1, 21-28; III, 2, 79-96; III, 4, 17-18; 26 bis 27; IV, 1, 6-9; IV, 2, 26; IV, 6, 169-174; V, 3, 76, 144; 146. Nur die Zwischenbemerkungen des Narren II, 4, 46–55 und III, 6, 92, sowie Goneril's Ausruf V, 3, 89 machen davon eine Ausnahme, aber dies sind in der That Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Zur Seite gesprochenes, das keinen integrierenden Teil des Dialogs ausmacht, darf nicht auf's Stichwort warten lassen und einen leidenschaftlichen Auftritt in's Stocken bringen. Wo die Schauspieler ihre Sache verstehen, wird es von den Reden der Hauptpersonen unterbrochen und übertönt, und von dem Zuschauer möglicherweise nicht verstanden oder ganz überhört.

So führen allgemeine und besondere Gründe zu der Folgerung, daß es dem Quartotert des King Lear an aller Autorität fehlt, und daß seine Varianten aus unseren Ausgaben auszumerzen sind, die wenigen Fälle abgerechnet, wo sie zur Berichti= gung unleugbarer Druckfehler der Folio dienen. Wie früh oder wie spät diese Ueberzeugung sich Bahn brechen wird,.läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen nicht einmal annähernd bestimmen. Es ist nicht jedermanns Sache, sich überzeugen zu lassen, und nicht jedermanns Sache, nach seinen Ueberzeugungen zu handeln. Liefert doch gerade derjenige Gelehrte, der in der vorliegenden Frage zuerst das richtige gesehen, wenn auch nicht in seinem Grunde erkannt, einen Beweis dafür, auf wie schlüpfrigem Boden sich alle Kritik bewegt.

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Schon in den ersten Auflagen seiner Shakespeare-Ausgabe gab Delius den Lesarten der Folio auf's entschiedenste den Vorzug vor denen der Quartos. Er hielt sie damals für Verbesserungen, welche das Drama der sorgfältig nachfeilenden Hand des Dichters verdanke". In dem schon erwähnten Aufsatze des Sh.Jahrbuchs von 1875 ging er dann einen erheblichen Schritt weiter, indem er den Quartos alle Autorität absprach und die Folio für die einzig zur Richtschnur zu nehmende Ausgabe erklärte. Mit noch größerer Befriedigung mußte ein Gleichdenkender sein in der Vorrede zur Leopold Edition mitgeteiltes Sendschreiben an Fr. Furnivall begrüßen, worin es heißt: I have, in the progress of my Shaksperean studies, grown rather sceptical about the favourite theory, which I formerly cherished myself, that Shakspere did really at any period of his life re-write a play which he had written before. I am rather inclined now to ascribe all those discrepancies in the text between the first and the second editions of Hamlet, Romeo and Juliet, Henry V, Henry VI, The Merry Wives of Windsor, merely and exclusively to those anonymous hands that meddled with the first publications of these dramas. Die natürliche Consequenz dieser modificierten oder vielmehr vorgeschrittenen Auffassung wäre es gewesen, wenn er nun mit noch größerer Strenge als früher den Foliotert in sein volles Recht eingesetzt hätte. Statt dessen sehen wir in seiner lezten Redaktion des King Lear, wie sie in The Leopold Shakspere, from the Text of Professor Delius, vorliegt, eine Reihe von Quartovarianten aufgenommen, die er in seinen ersten Ausgaben mit gutem Grunde verschmäht hatte. Wir begnügen uns mit den neun Beispielen der Eingangsscene.

V. 56 Folio und Delius 1859: more than word can wield the matter; Quartos und Delius 1877: more than mords 2c. V. 63 F. und D. 59: what shall Cordelia speak? Q. und D. 77: what shall Cordelia do?

V. 69 F. und D. 59: wife of Cornwall; . und D. 77: wife to Cornwall, speak.

V. 85 F. und D. 59: although our last und least; . und D. 77: although the last, not least.

V. 95 F. und D. 59: no more nor less; Q. und D. 77: nor more nor less.

V. 173 F. und D. 59: our sentences; . und D. 77: our

sentence.

V. 209 F. und D. 59: in such conditions; . und D. 77: on such conditions.

V. 228 F. und D. 59: what I will intend; Q. und D. 77: what I well intend.

V. 284 F. und D. 59: who covers faults, at last with shame derides; . und D. 77: who cover faults, at. last shame them derides.

Ein solcher Widerspruch zwischen Theorie und Praxis rückt die Aussicht auf eine allgemeine dauernde Verständigung über die Behandlung des Tertes in unabjehliche Ferne. Die folgenden Bemerkungen sind auch nicht in der Einbildung geschrieben, daß fie daran etwas ändern könnten, sondern sollen nur zur Unterstützung der voranstehenden Ausführungen dienen und den Beweis für die höhere Autorität der Folio vervollständigen. Sie werden sich mit einer Reihe von fraglichen Stellen des King Lear be schäftigen, und zwar ausschließlich mit solchen, in welchen sämtliche neue Herausgeber die Lesarten der Folio fälschlich für Druckfehler angesehen, und statt ihrer die Varianten der Quartos in ihre Terte aufgenommen haben.

I, 1, 5. Folio: In the division of the kingdom it appears. not which of the dukes he values most, for qualities are so weighed that curiosity in neither can make choice of either's moiety. Quartos und hgg. equalities für qualities. Warum der Dichter nicht gesagt haben soll: „Die Beschaffenheiten oder Eigenschaften der drei Landesteile sind gegen einander abgewogen" (zumal wenn man dagegen hält, was Lear v. 65 ff. ausführt) ist nicht abzusehen. Equalities fann er nicht gesagt haben, sondern höchstens equality. Gleichheit ist etwas, was nicht jedem Teile für sich, sondern was nur ihrem Verhältnis zu einander zukommt, also durchaus ein Singularþegriff. Es könnte unmöglich heißen: the equalities of the three parts are perfect, sondern nur: the equality 2c. Doch im Grunde führt kein einziger Herausgeber etwas an, worauf man eine Antwort schuldig wäre.

I, 1, 63. Folio. What shall Cordelia speak? Love, and be silent. q. und bag. what shall Cordelia do? in der Meinung, daß love 2. Infinitive sein müßten. Es sind Imperative. Nicht

was sie zu thun, sondern was sie nach den überspannten Beteuerungen Goneril's zu sagen habe, fragt C. sich selbst.

I, 1, 74. Folio:

Only she comes too short, that I profess

Myself an enemy to all other joys,

Which the most precious square of sense professes,

And find I am alone felicitate

In your dear highness' love.

Qq. und Hgg. possesses für professes. Delius: „darin nur bleibt sie hinter mir zurück, daß ich mich als eine Feindin aller andern Freuden erkläre, welche der kostbare Bezirk sinnlicher Wahrnehmung in sich schließt. Die Lesart der Folio professes für possesses ist aus Verwechselung mit dem vorhergehenden profess entstanden". Wright: „which the most precious square of sense possesses, that is, which the most delicately sensitive part of my nature is capable of enjoying". Alles höchst sinnig und be= deutend, aber nicht Sinn und Bedeutung der Shakespeare'schen Worte. Square of sense heißt ebensowenig Bereich der Sinne als Empfindungsvermögen sensitive part of nature), und selbst wenn es beides heißen könnte, würde possesses zum ersteren ein sehr unpassendes, zum letzteren ein unmögliches Prädikat sein. Vielmehr ist square (ursprünglich = Quadrat) in seiner gewöhnlichen tropischen Bedeutung zu nehmen: Richtschnur, Maß, Norm, und the most precious square of sense ist: das erlesenste Ebenmaß der Vernunft, die normalste und verständigste Denkweise. Regan's Kindesliebe ist so groß, daß sie von allen Freuden nichts wissen will, welche selbst ein Muster von Vernunft als Freuden. anerkennt (professes), wie z. B. eyesight, space, liberty, life, grace, health, beauty und honour, diese so eben von ihrer Musterschwester gepriesenen Güter. Daß to profess so viel ist als „sich zu etwas bekennen", braucht hoffentlich nicht bewiesen zu werden. An einem Wort Anstoß zu nehmen, weil es innerhalb zweier Zeilen zweimal vorkommt, zeigt sich bei der Interpretation Shakespeare's als eine ebenso unberechtigte als verbreitete scholastische Gewöhnung, von der der Dichter selbst jedenfalls frei gewesen ist. Der einzige Kommentator, der the most precious square of sense richtig aufgefaßt zu haben scheint, ist Moberly, der es mit the choicest estiGes. Abh. v. Dr. Alex. Schmidt.

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mate of sense wiedergiebt. Merkwürdigerweise aber schreibt auch er possesses.

I, 1, 85. Folio:

Now our joy,

Although our last and least, to whose young love

The vines of France and milk of Burgundy

Strive to be interest, what can you say to draw

A third more opulent than your sisters?

Die Quartos:

But now our joy,

Although the last, not least in our dear love,
What can you say to win a third more opulent
Than your sisters?

Die neuen Hgg.:

Now, our joy,

Although the last, not least, to whose young love

und dann weiter nach der Folio.

Ob es im allgemeinen erlaubt ist, aus zwei verschiedenen Versionen eine dritte nach eigenem Geschmack zu combinieren, mag dahingestellt bleiben. Hier; wo die Foliofassung als Ganzes entschieden die echt Shakspeare'sche, und die der Quartos durchaus corrumpiert ist, war es sicherlich nicht erlaubt.

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Was die Herausgeber dabei beeinflußte, ist nicht schwer zu erkennen. Das last, not least ist einmal, selbst für Deutsche, ein geflügeltes Wort. Ursprünglich bildete es allerdings nur eine absichtsvolle und pointirte Umkehrung der alltäglichen Verbindung last and least, wie in my last and least care, the last and least consideration is 2c. Der eigentliche Urheber des last, not least ist nicht Lear, sondern Marc Anton im Julius Cäsar III, 1, 189. Unter seinen erheuchelten Freundschaftsbeteuerungen zu den Mördern Cäsar's kommt auch vor though last, not least, in love, yours (sc. hand), good Trebonius. Zu seiner Stimmung paßte es, eine gewöhnliche Phrase epigrammatisch zu verkehren. Wir erkennen zugleich hier die Quelle der Quartovariante not least in our dear love; sehr möglich, daß Antonius und Lear von dem= selben Schauspieler dargestellt wurden, der dann die in der ersten Rolle zur Gewohnheit gewordenen Worte auch in die zweite übertrug. Man denke sich aber in die Seele Lear's und man wird

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