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der Gesellschaft. Er war ohne Zweifel der bekannteste und ge= feiertste Schriftsteller seiner Zeit, selbst Goethe und Byron nicht ausgenommen. Ueberall trat nach seinem Vorgang der Roman in den Vordergrund der schönen Litteratur und nahm die besten Kräfte für sich in Anspruch. Ueberall — und darauf möchte ich einen besondern Nachdruck legen erregten seine Werke das allgemeine Interesse für seine Person, welches sonst nur heimischen Dichtern und Helden entgegenzukommen pflegt. Sein Porträt, Abbildungen von seinem Wohnhause in Abbotsford, von Allem was ihn nahe anging, bis auf seine Hunde herab, fanden auf dem Kontinent weit und breit Absatz. Auf seinem ersten Besuche in Paris, den er im Gefolge der Sieger von Waterloo zu einer Zeit machte, wo er die Romanschriftstellerei kaum begonnen hatte und seinen Ruhm ausschließlich seinen Gedichten verdankte, empfing er in der Beeiferung, mit welcher Fürsten, Feldherren und Staatsmänner ihn in ihre Nähe zogen und mit Ehren überhäuften, gleichsam die Huldigungen ganz Europas. Sie waren schmeichelhaft genug, allein vielleicht gab er für sie nicht den Blumenstrauß hin, welchen auf einem späteren Besuch, als durch die Romane sein Verdienst verständlicher geworden und sein Ruhm in das Volk hinabgedrungen war, die Damen der Halle ihm durch eine feierliche Deputation überreichten.

Alle diese Anerkennung war jedoch matt und kalt im Vergleich mit der Liebe, der fast abgöttischen Verehrung, welche sein Vaterland ihm darbrachte. Seit dem Erscheinen seines ersten größeren Originalwerkes, des lezten Minstrel, galt er für den größten englischen Dichter seiner Zeit, und diesen Plaz behauptete er fast unangefochten nicht blos in der öffentlichen Meinung, sondern auch im Urteil seiner Nebenbuhler, unter denen der bedeutendste, Lord Byron, ihn zwar in einem satyrischen Jugendgedicht angetastet hatte, in reiferen Jahren aber ihm, und nur ihm, die Superiorität zuerkannte. Seine Wohnung in Ashestiel und später in Abbotsford war ein Wallfahrtsort für alle Reisenden. Bei seinen Besuchen in London wurde er der Mittelpunkt der vornehmsten Kreise, wie aller geistreichen Cirkel, und man erzählt es ausdrücklich was in dem aristokratischen England mehr als anderswo zu sagen hat daß die Ehren, welche man ihm erwies, um nichts geringer waren als diejenigen, welche dem ersten

Unterthan des Reichs, dem Herzoge von Wellington, galten. Er war der erste in England, der für kein andres als schriftstellerisches Verdienst in den Stand der Baronets erhoben wurde. Als er im Jahr 1831, ein Jahr vor seinem Tode, zur Wiederherstellung seiner zerrütteten Gesundheit eine Reise nach Neapel machen sollte, stellte ihm die Admiralität eine der schönsten königlichen Fregatten, wahrhaft fürstlich ausgerüstet, zu persönlicher Verfügung. Ueberall, wo er gelegentlich erschien, in London, in Dublin, und selbst in Edinburg, wo er so gut wie zu Hause war, sammelte sich das Volk um seinen Wagen, um ihn einsteigen und abfahren zu sehn, mit den Zurufen, welche sonst die Auszeichnung der Fürsten find. Als er im Jahr 1825, auf dem Gipfel seines Ruhms, eine Reise durch Irland machte, wurden bei seiner Annäherung in Dörfern und Städten die Glocken geläutet. Unter den unzähligen Ovationen, welche er erfuhr und wieder vergaß, war es eine, deren er sich noch nach Jahren besonders gern erinnerte. Er war bei der Krönung Georgs IV. in London anwesend und geriet nach Beendigung der Feierlichkeit mit einem Freunde in ein lebensgefährliches Menschengedränge. In der Mitte der Straße bildeten schottische Gardisten ein Spalier, um einen Weg für den Hof freizuhalten. Jede Bitte, hier durchgelassen zu werden, wurde barsch abgewiesen. An dies Spalier herangedrängt, rief der Begleiter dem Dichter zur Warnung zu: Nehmen Sie sich in Acht, Sir Walter Scott! Ein Unteroffizier hörte das; Sir Walter Scott! rief er aus, der passirt überall. Und zu seinen Kameraden sich wendend: Plaß gemacht für Sir Walter Scott! Der Dichter schritt mit seinem Freunde die Reihen hinab, überall von dem Zuruf begrüßt: Gott segne euch, Sir Walter!

Einen nicht minder augenfälligen und willkommenen Beweis für seine Popularität erhielt er durch seine schriftstellerischen Honorare. Wohl nie vor ihm hat jemand von seiner Feder eine glänzendere Einnahme gehabt. Das Gedicht Marmion brachte ihm 7000 Thlr., der Guy Mannering 14000, die 4 in einem Jahr geschriebenen Romane Ivanhoe, das Kloster, der Abt und Kenilworth zusammen über 100,000, Woodstock allein 57,000, das Leben Napoleons 130,000 Thlr. Wir greifen sicherlich nicht zu hoch, wenn wir die schriftstellerische Einnahme seiner besten Zeit auf 70,000 Thlr. jährlich, und die Summe seiner Verlags-Hono

rare auf eine Million veranschlagen. Er hätte sie noch verdoppeln und verdreifachen können, wenn er nicht zu Gunsten der altbefreundeten Firmen Ballantyne und Constable alle Anträge anderer Verleger abgelehnt hätte.

In so großartigen und ausgedehnten Erfolgen liegt an sich etwas Imposantes, und es gehört ein gewiffer Mut dazu, sich mit ihnen in offenen Widerspruch zu setzen. Wenn demnach ein berühmter deutscher Litterarhistoriker Walter Scott mit verrufenen Vielschreibern in Eine Reihe stellt, ihm den Dichternamen so gut wie abspricht, und es übel vermerkt, daß auch Goethe sich zu seinem Lobredner hergegeben, so verdient das sichre und durch unzweifelhafte Erfolge befestigte Selbstvertrauen, mit dem dies Urteil ausgesprochen ist, gewiß alle Anerkennung. Einer Untersuchung jedoch, wie weit dasselbe begründet sei, würde ich unter allen Umständen aus dem Wege gehen, selbst wenn ich gegen die einstimmige Pietät, mit welcher man in England noch heute Walter Scott's Namen ausspricht, auf ein vereinzeltes Verdammungsurteil ein erhebliches Gewicht legte. Es ist weder meine

Absicht, Sie zu einem Gange auf das schlüpfrige Gebiet der Kunstkritik einzuladen, noch an das Gefühl derjenigen zu appellieren, welchen Walter Scott das Entzücken ihrer Jugendzeit gewesen ist, und welche es dem Dichter noch heute Dank wissen, daß er keine Zeile geschrieben, die man bedauern müßte, damals gelesen zu haben, daß er seinen Darstellungen feinen Tropfen Gift beigemischt, kein Laster beschönigt, keine Begierde erregt, keine sittlichen Begriffe verwirrt, sondern Kopf und Herz mit großen Bildern, starken Empfindungen und gesunden Lebensmarimen genährt hat. Vielmehr gebe ich von vorne herein zu, daß eine Anerkennung und Popularität, wie Walter Scott sie genoß, nicht allein durch ästhetische oder ethische Vorzüge erklärt werden kann, und daß es noch etwas andres sein muß, wodurch er frühere und gleichzeitige, vielleicht größere Dichter überflügelt hat. Worin dies andre nach meiner Ueberzeugung bestanden, mag am besten gleich im Eingange gesagt sein. Walter Scott war ganz und gar ein nationaler, oder wenn man will, ein Volksdichter. Fast ohne Bewußtsein, aus dem innersten Drange seiner Natur, betrat er eine Richtung, zu welcher nach langen Abirrungen alle modernen Litteraturen, doch meistens tappend und unsicher, hinstrebten,

und in welcher überall und immer die Blüten der Kunst und Poesie zu den nahrhaftesten Früchten reifen; ohne vorheriges Forschen, Suchen und Zweifeln, mit dem sichern Instinct, welcher durch eine bunte und verfeinerte Kultur verloren zu gehen pflegt, machte er es zu seiner Aufgabe, dem Geiste seiner Nation, wie er sich in Sage und Geschichte, in Glauben und Aberglauben, in Sitte und Unfitte kundgab, den reinsten dichterischen Ausdruck zu geben. Und indem er dies that, trat er der Empfindungs- und Denkweise auch der übrigen europäischen Völker näher als die Mehrzahl ihrer eignen Dichter, welche nach abstracten Kunstprincipien zu Werke gingen und Stoffe und Formen bald bei Griechen und Römern, bald im Orient, bald im Mittelalter suchten.

Vor einem Hörerkreise wie dem anwesenden bin ich der Mühe überhoben, ein ausführliches Bild der englischen Litteratur des 18. Jahrhunderts zu entwerfen. Ich kann daran als an eine bekannte Thatsache erinnern, daß die höheren Dichtungsgattungen oder vielmehr die einzigen Formen rein poetischer Darstellung, Lyrik, Drama und Epos, gänzlich darniederlageń, und daß das verhältnismäßig Beste auf den streitigen Grenzgebiet der Poesie und Prosa, in der Satyre, im beschreibenden und Lehrgedicht gelang. Mit Pope's Lockenraub, seinem Versuch über den Menschen und seinen moralischen Versuchen, mit Young's Nachtgedanken, Goldsmith's Verlassenem Dorf und Reisenden, Gray's Kirchhof, Crabbe's Bibliothek, Cowper's Aufgabe, Akenside's, Roger's und Campbell's Freuden der Einbildungskraft, der Erinnerung und Hoffnung, Thomson's Jahreszeiten und Wordsworth's Skizzen ist ziemlich Alles in poetischer Form genannt, was aus jener Zeit noch in der Erinnerung der heutigen lebt. Ihre Tragödien, ihre Catos, Sophonisben und Agamemnons, ihre zierlichen Liebeslieder auf die Reize der Chloë, Daphne und Lydia, ruhen in dem Dunkel, in welches nur noch das Grubenlicht des Litteraturforschers fällt. Vereinzelte lyrische Klänge, wie das Thomsonsche Rule Britannia und die noch weiter zu erwähnenden Gedichte von Burns, tönen noch mächtig in die Gegenwart herüber, aber gerade sie liefern die beste Gewähr, daß das Schicksal der übrigen auf ewig besiegelt ist.

Man bezeichnet die litterarische Richtung jener Zeit mit dem

Namen Klassicismus. Vielleicht thäte man beffer, wenn man nur von einer rein gelehrten Kunstpoeste spräche. Denn waren auch Bildung und Geschmack der Dichter durchaus klassisch, d. h. auf das griechische und vorzugsweise das römische Altertum begründet, so lag doch in diesem Umstande allein nicht das, was ihnen den eigentümlichen Character gab, sondern vielmehr in der Art, wie man die klassischen Vorbilder benußte. Wir haben es hier mit Gelehrten zu thun, welche wieder für Gelehrte schrieben, ihre Inspiration aus Büchern schöpften und in neuen Büchern verwerteten, reich an Wissen, an Geist, Wiß, Einbildungskraft, Sprachgewalt, an Allem, was eine ganz scholastische Bildung zu geben vermag, arm an wahrer und natürlicher Empfindung, und an der liebevollen Begeisterung, welche in ihrem Gegenstande aufgeht, und ohne welche auch der Dichter nichts ist als ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Es war ein Kultus der schönen Form, zu welchem das einseitige Studium des Altertums geeignet ist zu verführen; Eleganz des Gedankens und Ausdrucks galt für den Stempel des Genies; und bezeichnend für die Anschauung des Zeitalters war es, daß ganz wie bei uns das Wort Wig identisch gebraucht wurde mit Poesie, was man im Sinne behalten muß, um die berühmte Popesche Definition zu verstehen: Wiz ist Natur in kleidendem Gewand,

Was oft gedacht, nie bessern Ausdruck fand.

Es fehlte indessen nicht an Ansätzen zu einer heilsamen Reaktion gegen diesen nüchternen Geist. Ich möchte dahin weniger die derb-realistischen Romane eines Fielding und Smollet rechnen, welche frische und lebendige Bilder der Alltagswelt gaben, aber zu sehr aller Idealität ermangelten, als die Versuche, die volkstümlichen Erinnerungen und Vorstellungen wieder aufzufrischen, deren Wirksamkeit um die Mitte des 17. Jahrhunderts so gut wie erloschen war. Man kam hier und da zum Bewußtsein darüber, weshalb das poetische Leben so arm war und nur duftlose Papierblumen hervorbrachte; der Boden, auf dem man stand, war verödet; von Kindesbeinen auf mit nichts als klassischen Anschauungen genährt, fühlte man sich der eignen Heimat entfremdet; die Dichtung hatte sich vom Leben losgelöst. Man kehrte darum zu Shakespeare zurück, den man lange fast vergessen hatte; man begann den Volksliedern nachzuforschen, welche die Freude früherer

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