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Zur Textkritik des „King Lear”.

I*).

Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, daß der Tert der Shakspearischen Dramen mancher Controverse unterliegt. Es ist das ein Schicksal, welches er nicht nur mit den Schriftwerken des klassischen Altertums, sondern bis zu einem gewissen Grade auch mit denen unserer eigenen modernen Literatur teilt. Wir sind nicht immer sicher, daß unsere Lessing, Goethe und Schiller das wirklich geschrieben haben, was man uns in ihren verbreitetsten Ausgaben zu lesen gibt. Besondere Säuberlichkeit des Drucks ist nicht immer der Stolz Deutscher Officinen, fleißiges Corrigieren selten die starke Seite großer Schriftsteller gewesen. Zahlreiche Versehen, unter denen die handgreiflichen finnstörenden Druckfehler die mindest gefährlichen sind, finden sich schon in den ersten Aus'gaben, vererben sich auf die folgenden, und vermehren sich in ihnen durch neue. So steigert sich das Uebel im Laufe der Zeit, bis man ihm durch Zurückgehen auf die Quelle auf die Handschriften der Autoren, wo deren vorhanden ein Ziel zu sezen sucht.

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Aehnlich, aber freilich noch erheblich schlimmer, verhält es sich mit Shakspeare. Von den zahlreichen Druckfehlern seiner ältesten Ausgaben, und von den noch schlimmeren Willkürlichkeiten, welche seine späteren Herausgeber, namentlich im 18. Jahrhundert, sich erlaubt haben, soll hier gar nicht die Rede sein, sondern nur von

*) Dieser erste Teil ist zwar schon als Programm gedruckt worden, doch ist er für das Verständnis des Folgenden notwendig, deshalb sei er hier nochmals abgedruckt.

dem Grade der Möglichkeit überhaupt, ihn in seiner ersten und ächten Form wiederherzustellen. Originalhandschriften des Dichters gibt es nicht und hat es wahrscheinlich bald nach seinem Tode nicht mehr gegeben, und unter den ersten Ausgaben seiner Dramen ist keine, die den Namen einer editio princeps im vollsten Sinne verdiente. Nur eine einzige bietet durch die Art ihrer Entstehung*) und die Namen ihrer Herausgeber eine gewisse Bürgschaft für die Aechtheit ihres Tertes: es ist die von Shakspeare's Kollegen und Freunden Hemige und Condell im Jahre 1623, also fieben Jahre nach dem Tode des Dichters, besorgte sogenannte erste Folio. Daneben aber eristieren von der kleineren Hälfte der Dramen Einzelausgaben, die sogenannten Quartos, welche schou bei Lebzeiten des Dichters erschienen, und welche so den nicht gering anzuschlagenden Vorzug des höheren Alters haben, während es ihnen andererseits an jeder Garantie für ihre Authenticität fehlt. Diese Quartos geben in mehreren Stücken einen von der Folio sehr abweichenden Tert, und es fragt sich nun, wie man das Verhältnis aufzufaffen und bei-Veranstaltung neuer Ausgaben zu verfahren habe. Soll man annehmen, daß der Dichter selbst bei der Veröffentlichung der Quartos irgendwie beteiligt war, und daß ihnen demnach eine höhere Autorität beiwohne als der erst nach seinem Tode erschienenen Folio? Oder soll man sich umgekehrt ausschließlich an diejenige Tertform halten, deren rechtmäßige Herstellung jedenfalls über allen Zweifel erhaben ist? Haben wir die Stücke vielleicht in verschiedenen Bearbeitungen vor uns, und wenn dem so wäre, rühren die Aenderungen in den späteren von dem Dichter selbst her oder von anderen?

Es liegt auf der Hand, daß es auf solche Fragen nur eine richtige Antwort geben kann, und daß alle Tertkritik im Dunkeln tappt, so lange sie nicht diese einzige richtige Antwort gefunden hat. Aber nur hier und da, und nur teilweise hat man es versucht sie zu finden. Es sind mehr Instincte als Ueberzeugungen, was im allgemeinen das Verfahren der neuen Herausgeber geleitet hat, und so bietet es bis auf den heutigen Tag das Bild völliger Ratlosigkeit. In England selbst namentlich ist es Sitte, *) Published according to the true original copies, heißt es auf dem Titelblatt. Der stehende Ausdruck bei den Quartos ist: As it has been

acted etc.

Quartos und Folio mit „gleichwägender Gerechtigkeit“ zu behandeln, nach persönlichem Gutdünken sich bald für diese bald für jene Seite zu entscheiden und so einen eklektischen Tert herzustellen. Der Leser scheint vielleicht dabei nicht schlecht wegzukommen, wenn der Herausgeber ein Mann von Geschmack ist, aber ein kritisches Verfahren kann man es nicht nennen. Denn selbst in dem Falle, daß wir es mit zwei verschiedenen Redactionen des Stückes aus der Hand des Dichters zu thun hätten, müßte eine von beiden zu Grunde gelegt werden, gleichviel ob man diejenige wählt, welche im ersten raschen Wurfe entstanden ist, oder diejenige, welche die Nachbesserungen des gereiften Urteils erfahren hat. Beide zu einer zusammenschmelzen, indem man eine durch die andere corrigiert, heißt ein Ganzes herstellen, welches für den Dichter selbst nie vorhanden gewesen ist und welches möglicherweise aus heterogenen Elementen besteht.

Die einzigen ernstlichen Versuche, der Sache auf den Grund zu kommen, sind in Deutschland gemacht worden, und wenigstens über einen Teil der Quartos herrscht hier kaum noch eine Meinungsverschiedenheit. Es sind dies die ersten Ausgaben von Romeo und Julia (1597) und von Hamlet (1603), und die Quartos von Heinrich V., Heinrich VI (2. und 3. Teil), und den Lustigen Weibern. Sie tragen in der elenden Beschaffenheit ihrer Terte, in der Sinnlosigkeit ihrer Kürzungen und Zusäße, und in ihren lächerlichen Misverständnissen und Entstellungen nicht blos einfach den Stempel der Unächtheit an der Stirn, sondern verraten auch auf unzweideutige Art den Hergang ihrer Entstehung. Wenn es anderwärts noch immer Gelehrte und Gesellschaften von Gelehrten gibt, die von einer ältesten in der ersten Quarto uns unversehrt erhaltenen Redaction des Hamlet fabulieren, und wenn man sich immer wieder darüber den Kopf zerbricht, ob Shakspeare selbst oder Greene oder Marlowe Verfasser der sogenannten Mutterdramen von Heinrich VI. sei, so muß man freilich auf eine nahe allgemeine Verständigung verzichten, aber darum nicht die Geduld verlieren. Denn es kann nur eine Frage der Zeit sein, ob die Ansicht zu allgemeiner Anerkennung gelangt, daß die oben angeführten Quartos aus eilfertigen Nachschriften bei der Aufführung der Stücke und aus unsichern Reminiscenzen zusammengestoppelt sind.

Daß speculierende Buchhändler sich auf diese Weise in den Besitz von populären dramatischen Werken seßten, ist nicht etwa blos ein glücklicher Einfall heutiger Literatoren, sondern eine beglaubigte Thatsache (vgl. die Anführungen in Elze's W. Shakspeare, S. 319ff.). Das interessanteste Zeugnis dürfte das des Dichters Th. Heywood sein, der im Prolog zu seinem If you know not me you know Nobody erzählt, wie er durch die Verunstaltungen, welche sein Stück durch Nachschreiber erlitten, sich schließlich genötigt gesehen, es selbst herauszugeben:

'Twas ill nurst,

And yet received as well performed at first,
Graced and frequented, for the cradle age
Did throng the seats, the boxes and the stage
So much, that some by stenography drew
The plot, put it in print, scarce one word true;
And in that lameness it has limped so long,
The author now, to vindicate that wrong,
Has took the pains upright upon its feet

To teach it walk: so please you sit and see't.

Man vergegenwärtige sich die damaligen Theater- und Autorenverhältnisse. Der dramatische Dichter verkaufte sein Manuscript an eine Schauspielergesellschaft zu ausschließlichem Besiz und betrachtete es fortan nicht mehr als sein Eigentum.. Die Bühne war ihm nach damaliger Anschauung die unerläßliche Voraussetzung der vollen und richtigen dramatischen Wirkung; erst auf ihr wurde ihm der Buchstabe lebendig; für bloße Leser zu schreiben, war ihm ein unfaßbarer Gedanke. Sein materieller Vorteil ging damit Hand in Hand. In einer Zeit, wo es keinen Schutz gegen Nachdruck gab, konnte kein Schriftsteller, und der beste am wenigsten, vom Absatz seiner Bücher und dem dadurch bedingten Verlegerhonorar leben; wer etwas drucken ließ, widmete es in Erwartung klingenden Lohnes einem reichen Gönner, statt seine Hoffnung auf das kaufende Publikum zu setzen. Dagegen bot das Theater dem Dramatiker nicht nur sofort einen nach seiner Popularität bemessenen Kaufpreis, sondern auch, wenn er gleichzeitig Schauspieler war, eine fortlaufende Tantième. Natürlicherweise mußte er dafür auch bindende Verpflichtungen eingehen, und wenn sich etwa der Ehrgeiz in ihm regte, mit Hintan

Ges. Abh. v. Dr. Alex. Schmidt.

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seßung materieller Rücksichten sich einen weiteren Wirkungskreis zu suchen als die kleine Bretterwelt, der er angehörte, so sah er eine Schranke vor sich, die er als ehrlicher Mann nicht überschreiten durfte. Was Shakspeare speciell betrifft, so macht sich (außer in den Sonetten, in welchen er eben nicht Shakspeare ist) der Ehrgeiz als eine Triebfeder seines Handelns nirgends bemerklich. Man hat sich gewundert, daß er die vielen gehässigen Angriffe von Zeitgenossen auf seine Person und seine Werke völlig unbeachtet gelassen; man mag sich auch bei der vorliegenden Frage wundern, daß man keine ähnliche Auslaffung bei ihm findet wie die oben citierte von Heywood, obgleich man an ihm denselben Raub nicht einmal, sondern wiederholentlich begangen, und nicht selten mit empörender Verunstaltung seiner Dichtungen. Diese Gleichgültigkeit gegen das Schicksal seiner Schriften hat man bald gelobt, bald getadelt, und Lobredirer wie Tadler haben darin ein mangelndes Bewußtsein der eigenen Dichtergröße gesehen, während sie vielleicht die natürliche Wirkung der höchsten geistigen Thätigfeit ist, welche in der Lust des Schaffens auch den ganzen und vollen Lohn des Schaffens findet und über der Freude am Werdenden das Interesse am Abgethanen und Fertigen verliert.

Genug, es muß von vornherein der Verdacht entstehen, daß weder Shakespeare selbst noch seine Schauspielergesellschaft, welche lettere durch jede Veröffentlichung die empfindlichste Schädigung erleiden mußte, bei der Herausgabe der Quartos beteiligt gewesen, und daß dieselben auf unrechtmäßige Weise zu Stande gekommen sind. Aeußerlichkeiten, auf die man sonst kein Gewicht legen würde, tragen immerhin dazu bei, diesen Verdacht zu verstärken, wie die bunte Namenreihe der Quartoverleger, die marktschreierischen Inhaltsangaben der Stücke auf den Titeln, die constante Bezugnahme auf Zeit und Ort, wo man sie aufführen sehen, neben häufiger Weglassung des Verfassernamens, den der Drucker vielleicht selber nicht wußte. Doch jeder Zweifel sollte billiger Weise ein Ende nehmen, wo ein so bestimmtes unzweideutiges Zeugnis vorliegt wie in der Vorrede der Folio-Editoren. Where before you were abused, heißt es dort, with divers stolen and surreptitious copies, maimed and deformed by the frauds and stealths of injurious impostors that exposed them, even those are now offered to your view cured and perfect of their

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