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Trotz solcher Gegenanstrengungen scheint Shakspeare in Frankreich von Tage zu Tage größere Verbreitung gefunden zu haben. Barthe, Ducis und dann Mercier waren tätig, teils durch Bearbeitung seiner Stücke, teils durch kritische Erörterung Sinn und Verständnis für ihn zu schaffen; die französische Bühne entfernte sich in dem zur Herrschaft kommenden bürgerlichen Trauerspiel immer mehr von ihren klassischen Traditionen. Auch von England aus mischte man sich in die entsponnene Controverse, und von dieser Seite erhielt Voltaire als Shakspeare-Feind und Führer der altgläubigen Partei manchen empfindlichen Schlag. Home schrieb gegen ihn; Samuel Johnson erklärte mit einem allgemein verstandenen Seitenblick auf ihn, daß die Blindheit für Shakspeares Größe das Merkzeichen eines kleinen Geistes sei; aber kein Angriff war so geschickt und schmerzte so tief wie das anonyme Buch der Mrs. Montagu: An Essay on the writings and genius of Sh., with some remarks upon the misrepresentations of Mons. de Voltaire, 1769; denn diese treffliche, mit ebenso klarem Verstande als reinem Gefühl abgefaßte Schrift, in welcher die Oberflächlichkeit des französischen „Wizzlings" (wit) im Tone heitrer Ueberlegenheit und zuweilen mit feinem Spott*) aufgedeckt wurde, .

la plus grande fidélité dans la traduction; ja Voltaire scheut sich nicht, später noch Citate aus seiner Uebersetzung gegen Shakspeare anzuführen, wie er namentlich das angebliche Wort Cäsars: buvons bouteille ensemble in jeder Controverse förmlich totheßt. Für den tiefsinnigen Zug, daß die Verschworenen durch Cäsars Einladung in die Lage kommen, ihre Heuchelei gegen ihn noch durch einen Frevel an der Gastfreundschaft zu krönen, hat Voltaire natürlich keinen Sinn. Aehnlich wie mit dem buvons bouteille ensemble macht er es mit Franciscos Antwort im Hamlet: not a mouse stirring, welche er überseht: je n'ai pas entendu une souris trotter und dann bei jeder Gelegenheit als das non plus ultra der Geschmacklosigkeit citiert. In dem Styl spreche allerdings ein Soldat auf der Wache, aber nicht im Theater vor einem gebildeten Publikum. Wie anders Racine: Auriez-vous dans les airs entendu quelque bruit? Les vents nous auraient-ils exaucé cette nuit? Mais tout dort, et l'armée, et les vents, et Neptune. So würde auch Homer gesprochen haben, s'il avait été Français. vgl. 38, 25-33.

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* Auf Voltaires Bemerkung, ungereimte Verse wie die Shakspeareschen könne man dictieren wie einen Brief, erwiedert die Montagu, dem Nichtkenner erscheine Alles leicht zu machen, was gut gemacht sei; wer etwas von der Sache verstehe, wisse wohl, daß der blank verse nur zwei Dichtern gelungen, Sh. und Milton. Im Hinblick auf V.'s stehende Ausdrücke monstres, mon

fand bald einen Ueberseßer und wurde in Frankreich viel gelesen. Voltaires Schriften und Briefe aus jener Zeit sind voll von Klagen über die hereinbrechende Barbarei, und von Vorwürfen gegen andre und gegen sich selbst. Denn überall, wohin er seinen Tadel kehrte, begegnete er den warnenden Schatten seiner eignen Verfündigungen. Er verspottete das bürgerliche Trauerspiel, die comédie larmoyante, das comique pleureur, wie er es nannte, mußte sich aber daran erinnern, daß er selbst einst in einem unbewachten Augenblick die Mischung des Ernsten und Komischen empfohlen*), und verfiel dann gar in alten Jahren in einen neuen Widerspruch, indem er die Guebern schrieb und in der Vorrede für sich vertheidigte, was er an andern unaufhörlich verhöhnte**). Die Verkündigung der action und des appareil als des einzigen, was der französischen Bühne fehlte, war ehemals sein dramatisches Evangelium gewesen; jezt möchte er Alles ungesagt haben und aus der um ihn sich erhebenden Brandung in den stillen Hafen der Klassicität zurücksteuern ***). „Sie haben ohne Zweifel Hamlet gesehn, schreibt er 1769 an d'Argental; die Gespenster kommen in die Mode; ich habe die Bahn bescheiden

strueux sagt sie, das sei so die Art der Leute (the vulgar), ihnen unbekannte Thiere Unthiere (monstres) zu nennen, wenn sie auch noch so schön seien. Die Fehler der Voltaireschen Shakspeare-Uebersetzung erklärt sie - freilich nicht richtig aus schülerhafter Unwissenheit. V. hatte All my engagements I will construe to thee, all the charactery of my sad brows so wiedergegeben: Va, mes sourcils froncés prennent un air plus doux. Der Schüler, sagt M., suchte im Lexikon to construe und fand to interpret, auch dies verstand er nicht, schlug interpret nach und fand to explain; und endlich unter to explain: to unfold or .clear up. So kam die heitere Stirn in Voltaires Tert. *) 58, 93.

**) 5, 306: On n'a pas craint de hasarder sur la scène un jardinier, une jeune fille qui a prêté la main aux travaux rustiques de son père, des officiers dont l'un commande dans une petite place frontière, et dont l'autre est lieutenant dans la compagnie de son frère. Enfin un des acteurs est un simple soldat. De tels personnages qui se rapprochent plus de la nature, et la simplicité du style qui leur convient, ont paru devoir faire plus d'impression, et mieux concourir au but proposé, que des princes amoureux et des princesses passionnées; les théâtres ont assez retenti de ces aventures tragiques qui ne se passent qu'entre des souverains, et qui sont de peu d'utilité pour le reste des hommes.

***) 47, 270.

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eröffnet, und nun jagt man mit verhängtem Zügel dahin. Ich wollte die Bühne durch etwas mehr Handlung beleben, jezt haben wir nichts als Handlung und Pantomime; nichts Heiliges ist vor Mißbrauch sicher. Wir verfallen in das Uebertriebene und Gigantische; vorbei ist's mit den schönen Versen, vorbei mit den Empfindungen des Herzens, vorbei mit Allem"*). 1772 an denselben: Man will nichts mehr sehn als Romeo und die Cherusker. Die schönen Verse sind aus der Mode. Man verlangt nicht mehr, daß der Autor zu schreiben versteht. Und ach! ich selbst habe den Verfall beschleunigt, indem ich Handlung und appareil einführte!“**). „Es mußte so kommen; das Publikum sitt seit 80 Jahren bei Tisch und säuft nun am Ende der Mahlzeit schlechten Branntwein***)." Der Verdruß machte ihn zum troßigen Verächter des Publikums, zu dessen willenlosem Diener er sich früher bekannt hatte. „Ich habe die unglaublichsten Anstrengungen gemacht, die Cherusker und Romeo durchzulesen. Welchem der beiden Werke der Preis gebührt, weiß ich nicht zu sagen. Die Fortschritte meiner theuren Nation in den schönen Künsten sezen mich wirklich in Erstaunen. Wenn diese bewunderungswürdigen Sachen Glück machen, so werden die Gesetze des Minos von Anfang bis zu Ende ausgepfiffen. Man muß darauf gefaßt sein, die Schauspieler gehörig vorbereiten, nicht den Kopf verlieren, das Stück mit majestätischer Begeisterung durchspielen, dem Publikum ins Antlig troßen und es mit gründlicher Nichtachtung behandeln“†).

Seine Erbitterung gegen Shakspeare und Alles, was damit zusammenhing, vergällte ihm förmlich seine letzten sonst so glücklichen, genuß- und ehrenreichen Lebensjahre. Er schrieb unermüdlich und mit maßloser Leidenschaft an alle seine Freunde, um bei ihnen Propaganda gegen den „abominabeln Shakspeare, ce Gilles de foire, ce grossier bouffon, ce saltimbanque“ zu machen und fie zu Kampfgenossen anzuwerben. „J'en parle toujours, parce que j'en suis plein, heißt es einmaltt). Den Höhepunkt erreichte

*) 66, 211. vgl. die Einleitungen zu den Lois de Minos und zu Don Pèdre.

**) 67, 134. ***) 67, 349. †) 67, 117. ††) 61, 363.

sein Zorn, als Letourneur 1776 seine Uebersetzung des Sh. an= kündigte und die Subscriptionslisten dazu sich mit zahlreichen Unterschriften bedeckten, an deren Spize die Namen des Königs und des königlichen Hauses standen. Ich kann es nicht unterdrücken, schreibt er am 19. Juli 1776*), wie aufgebracht ich bin gegen einen gewissen Tourneur, der Sekretär der Bibliothek sein soll, jedenfalls aber nicht Sekretär des guten Geschmacks ist. Haben Sie vielleicht zwei Bände von diesem Elenden gelesen, wo= rin er uns Shakspeare als das einzige Muster der wahren Tragödie anpreisen will? Er nennt ihn den Gott der Bühne und opfert seinem Gözen alle Franzosen ohne Ausnahme, wie man ehemals der Ceres Schweine opferte. Der Sudler hat es zu machen gewußt, den König, die Königin und die ganze königliche Familie zur Subscription auf sein Werk heranzuziehn. Haben Sie das abscheuliche Geschmiere gelesen, wovon er noch fünf Bände in Aussicht stellt? Hassen Sie einen solchen unverschämten Dummkopf auch recht von Herzen? Werden Sie sich den Schimpf gefallen laffen, den er Frankreich anthut? Sie und Herr de Thibouville, Sie sind mir viel zu sanftmütig. Es giebt in ganz Frankreich nicht genug Nasenstüber, nicht genug Schellenkappen, nicht genug Schandpfähle für einen solchen Lumpenhund. Das Blut kocht mir in meinen alten Adern, indem ich von ihm spreche. Wenn er Sie nicht auch in Zorn gebracht hat, halte ich Sie für einen ganz unempfindlichen Menschen. Das Schändliche dabei ist, daß das Ungeheuer in Frankreich Anhang findet, und um das Maß des Greuels zu füllen, habe ich selbst vor Zeiten von Shakspeare gesprochen; ich bin es, der den Franzosen zuerst einige Perlen zeigte, die ich auf seinem großen Misthaufen gefunden. Wie konnt' ichs ahnen, daß ich einst dazu beitragen würde, die Kränze Racines und Corneilles unter die Füße zu treten, um die Stirn eines barbarischen Gauklers damit zu zieren! Bemühn Sie sich, um meinetwillen, eben so wüthend zu sein wie ich, sonst mache ich noch einen dummen Streich." „O dieser Shakspeare! Er war doch nichts als ein garstiger Affe" (vilain singe)**).

Voltaire hatte wohl von Hause aus die richtige Ahnung ge=

*) 68, 261. **) 68, 270.

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habt, daß eine volle und ganze Anerkennung Shakspeares dem Ruhme Corneilles, Racines und dem seinigen den Todesstoß geben mußte, und jezt sah er kommen, was sich allmählich vorbereitet hatte. Er raffte sich zu einem Entscheidungskampfe auf und richtete ein Sendschreiben an die französische Akademie*), um fie im Interesse der vaterländischen Ehre und des guten Geschmacks zu einer Kundgebung gegen Shakspeare zu bestimmen und die Letourneursche Uebersehung als einen Verrath an Frankreich und an jeder löblichen Sitte zu denuncieren. Er beschwört darin die gelehrte Körperschaft und noch mehr den König, die Königin, die Prinzessinnen, les filles de tant de héros, die Sache Corneilles und Racines zu der ihrigen zu machen. Die Polizei ruft er nicht ausdrücklich an, aber es liegt zwischen den Zeilen, daß ihm eine Verbrennung des Letourneurschen Werks von Henkershand willkommen wäre. Ausführlichere Mittheilungen aus der Zuschrift können wir uns ersparen, da sie außer einigem literar-historischen Flitter nichts enthält als eine Aufzählung von vermeintlichen Albernheiten und namentlich von Obscönitäten aus Shakspeare in Bruchstücken bestehend, welche V. schon bei andern Gelegenheiten bis zum Ueberdruß ausgenußt hatte**). Am 26. Juli 1776 schickte er das Machwerk an d'Alembert ab als den Sekretär der Akade= mie***). Dieser las es in einer Privatsizung vom 3. August vor und erklärte sich bereit, es auch in der öffentlichen Sizung vom 25. August zum Vortrag zu bringen, wenn Voltaire bis dahin die persönlichen Angriffe auf Letourneur streichen und statt der obscönen Stellen und Ausdrücke andre, dem Hauptzweck nicht minder entsprechende einsehen wollte. Voltaire ging darauf ein, den Namen Letourneurs fortzulassen, aber an den Obscönitäten wollte er nichts geändert wissen, und auf d'Alemberts Einwurf, daß er doch unmöglich vor einem gemischten, zum Teil aus Damen bestehenden Publikum solche Dinge aussprechen könne, riet er ihm, wenn ein

*) 49, 313.

**) Wen Voltairesche Uebersetzungen aus Sh. interessieren, der findet solche aus Antonius und Cleopatra 38, 12; aus Cäsar 50, 214; aus Romeo und Julia 49, 328; aus Lear 49, 331; aus Hamlet 38, 17. 47, 274; aus Othello 47, 312; aus Macbeth 49, 319; aus Richard II. 40, 499; aus Heinrich IV. ebenda; aus Heinrich V. 38, 14 u. 49, 320.

****) 70, 265 ff.

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