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hinter mittelmäßigen Köpfen zurück, weshalb es wol mehr war als ein glücklicher. Instinct, wenn Lessing gerade ihn herausgriff, um an seiner Theorie und Praxis die Verkehrtheit des klassischen Systems anschaulich zu machen. Die Sache wird nicht besser für ihn, wenn wir uns überzeugen, daß er als Dichter nicht immer seiner Neigung und besseren Ueberzeugung folgte. Dem Pariser Publikum, jenen 30000 Kennern, unterwarf er sich blindlings, selbst wenn er ihrem Urtheil nicht beipflichten konnte*). In der ersten Ausgabe der Mariamne hatte er die Königin auf der Bühne sterben lassen; als dies mißfiel, schrieb er die Katastrophe um und bemerkte in der Vorrede**): „Ich hätte in diesem Punkt auf meinem Kopfe beharren können, und gestehe, daß es meinem Geschmack mehr zusagt, Mariamnes Tod in Handlung zu sehen als in einen récit zu bringen, aber ich wollte dem Geschmack des Publikums in nichts entgegentreten. Für dieses schreibe ich und nicht für mich; seine Ansichten sind es und nicht die meinigen, denen ich zu folgen habe." Achulich machte er es mit der Adelaide du Guesclin, welche er zum Duc de Foix umarbeitete, als sie eine schlechte Aufnahme fand. „Dies viel schlechtere Stück machte ziemliches Glück, und ich vergaß darüber das bessere“ ***). Eine so unselbstständige und gefallsüchtige Natur hatte zum Reformator wenig Beruf. Ein mächtiger und überwältigender Eindruck soll ihn dennoch dazu gemacht haben.

Die erste Erwähnung Shakspeares bei Voltaire findet sich in dem Essai sur la poésie épique, 1726 zu London geschrieben. „Wenn Homer Tempel gehabt hat, heißt es hiert), so fanden sich

*) Der Prolog der Eriphyle beginnt: Juges plus éclairés que ceux qui dans Athènes firent naître et fleurir les lois de Melpomène, daignez encourager des jeux et des écrits qui de votre suffrage attendent tout leur prix. De vos décisions le flambeau salutaire est le guide assuré qui mène à l'art de plaire En vain contre son juge un auteur mutiné vous accuse ou se plaint quand il est condamné; un peu tumultueux, mais juste et respectable, ce tribunal est libre et toujours équitable. Vergl. 1, 53: Chaque représentation de mon Oedipe était pour moi un examen sévère, où je recueillais les suffrages et les censures du public, et j'étudiais son goût pour former le mien. Ebenso 3, 234; 244. 4, 268.

**) 1, 200.

***) 2, 117. †) 10, 348.

auf der andern Seite auch manche Ungläubige, die seiner Göttlichkeit spotteten. In allen Zeitaltern von gelehrter Bildurg hat es Keber gegeben, die ihn einen erbärmlichen Schriftsteller nannten, während andere ihn auf den Knieen anbeteten . . . . Ich meinerseits, wenn ich Homer las und die plumpen Fehler wahrnahm, welche den Tadlern Recht geben, und Schönheiten, die noch größer find als seine Fehler, so konnte ich es anfangs nicht glauben, daß alle Gesänge der Iliade von demselben Dichter herrührten. In der That kennen wir keinen Schriftsteller, weder bei den Lateinern noch bei uns, der so hoch gestiegen und dann wieder so tief gesunken ist. Der große Corneille, ein dem Homer mindestens gleichstehendes Genie, hat allerdings nach dem Cinna und Polyeuct den Pertharit, Surena und Agefilaus geschrieben, aber Surena und Pertharit sind noch unglücklicher gewählte als behandelte Süjets. Diese Tragödien sind sehr schwach, aber nicht voller Abgeschmacktheiten, Widersprüche und grober Fehler. Endlich habe ich bei den Engländern gefunden, was ich suchte, und das Rätsel des homerischen Ruhms ist mir gelöst. Shakspeare, ihr erster tragischer Dichter, heißt in England kaum anders als der Göttliche. Ich habe das Londoner Schauspielhaus in Racines Andromache, so gut sie auch von Philips übersetzt ist, und in Addisons Cato nie so voll ge= sehn, wie bei den alten Stücken Shakspeares. Diese Stücke sind tragische Ungeheuer (des monstres en tragédie); einige spielen durch mehrere Jahre; im ersten Act tauft man den Helden, der im fünften vor Altersschwäche stirbt; man sieht darin Herenmeister, Bauern, Trunkenbolde, Narren, Todtengråber, welche ein Grab graben und Zechlieder singen, während sie mit Totenschädeln spielen. Kurz was sich nur Monströses und Abgeschmacktes ausdenken läßt, findet sich bei Shakspeare. Als ich das Englische zu lernen anfing, konnte ich nicht begreifen, wie eine so gebildete Nation einen so tollen Schriftsteller bewundern konnte; als ich je= doch in der Sprache sichrer war, überzeugte ich mich, daß die Engländer Recht hatten, und daß sich unmöglich eine ganze Nation in ihrem Gefühl und Geschmack täuschen kann. Die groben Fehler ihres Lieblingsschriftstellers entgingen ihnen so wenig wie mir, aber seine Schönheiten, die um so auffallender find, da sie wie Blize in tiefster Nacht hervorleuchten, empfanden sie besser als ich. Er genießt seinen Ruhm seit 150 Jahren. Die nach

ihm gekommenen Schriftsteller haben denselben eher erhöht als herabgedrückt. Die große Verständigkeit des Verfassers des Cato, und die Talente, welche ihn zum Staatssekretair machten, haben ihm keinen Platz zur Seite Shakspeares verschafft. Das ist das Vorrecht des erfinderischen Genies; es bahnt sich einen Weg, den niemand vor ihm gegangen; es schreitet dahin ohne Führer, ohne Kunst, ohne Regel; es verirrt sich in seinem Lauf; aber es läßt Alles weit hinter sich, was nur verständig und regelrecht ist. So ungefähr war auch Homer; er hat seine Kunst geschaffen und unvollendet gelassen; wir sehen bei ihm noch ein Chaos, aber das Licht glänzt schon von allen Seiten hervor."

Der Vergleich mit Homer darf nicht zu der Annahme verleiten, daß Voltaire an Shakspeare' anerkannt hat, was wir an ihm am höchsten schäßen: die Weisheit in der Anlage seiner Dramen, die Tiefe seiner Charakteristik, seine Lebenswahrheit, die gezügelte und doch ungeschwächte Naturkraft seiner Empfindung, die Sprachmeisterschaft, welche für jede Stimmung und Leidenschaft das rechte, die Scele ausfüllende Wort findet. Voltaire war, wie wir sehen werden, nicht unempfänglich für die regere Handlung des shakspeareschen Dramas, doch erweckte diese sein Interesse nur in ähnlicher Weise, wie Reisende unsrer Tage ge= wisse Einrichtungen der japanesischen Bühne zur Nachahmung empfohlen haben; der Verlauf unserer Mitteilungen wird es deutlich machen, daß er Shakspeare nur da bewunderte, wo er dem Styl der Franzosen am nächsten kam, wo er sentenzenreich wurde oder eine glänzende Rhetorik entfaltete. Aller Zweifel an der Bescheidenheit jener Vergleichung muß schwinden, wenn wir in demselben Aufsatz Virgil weit über Homer gestellt sehen. Im zweiten Buch der Aeneide sollen mehr Kunst und ergreifendere Schönheiten sein als in der ganzen Iliade. Man sagt, Homer habe Virgil gemacht; wenn das der Fall, so ist Virgil sein schönstes Werk. Wo dieser groß ist, verdankt er es sich selbst; wenn er bisweilen fehlgeht, trägt sein Führer die Schuld." Die Wahrheit ist, daß Voltaire gerade in dem, was Homers und Shakspeares Größe ausmacht, in ihrer Einfachheit und Naivetät, ihrer bis zum Schein der Kunstlosigkeit vorgedrungenen Kunst nichts sah als Rohheit und Barbarei.

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Nach der Zeit der Abfassung, wenn auch nicht der Veröffent

lichung, ist die zweite Erwähnung Shakspeares die in den engli= schen Briefen, welche größtenteils schon während des Londoner Aufenthalts geschrieben, aber erst 1733 gedruckt wurden *). Sie enthalten zwei Auffäße über die englische Tragödie und Ko= mödie **). „Die Engländer, sagt V., hatten wie die Spanier bereits ein Theater, als die Franzosen noch nichts als Bänkelsänger - Gerüste kannten. Shakspeare, welchen die Engländer für einen Sophocles halten, blühte ungefähr zur Zeit des Lopez de Vega; er schuf das Theater; er besaß ein Genie voll Fruchtbarkeit und Kraft, Natürlichkeit und Erhabenheit, ohne einen Funken guten Geschmacks und die geringste Kenntnis der Regeln. Ich wage ein kühnes aber wahres Wort: die Vorzüge dieses Schriftstellers haben das englische Theater zu Grunde gerichtet; in seinen monströsen Poffen (ses farces monstrueuses), die man Tragödien nennt, finden sich so schöne Scenen, so große und furchtbare Stellen (des morceaux si grands et si terribles), daß man sie immer mit großem Erfolg aufgeführt hat. Die Zeit, welche allein den Ruf der Menschen macht, giebt am Ende ihren Fehlern etwas Ehrwürdiges. Die bizarren und gigantischen Vorstellungen dieses Schriftstellers haben nach 150 Jahren ***) der Mehrzahl nach das Anrecht erworben, für erhaben zu gelten. Die neueren Schriftsteller haben ihn fast alle nachgeahmt. Aber was bei Sh. Glück machte, wird bei ihnen ausgepfiffen, und man kann sich leicht denken, wie die Verehrung für ihn in dem Maße wächst, als man seine Nachfolger verachtet. Man überlegt nicht, daß man ihn nicht nachahmen sollte, und der schlechte Erfolg der Kopisten macht es allein, daß man ihn für unnachahmlich hält. In der sehr rührenden Tragödie „der Mohr von Venedig“ erwürgt ein Ehemann seine Frau auf der Bühne, und nachdem die arme Frau erwürgt ist, schreit sie, daß sie ganz unschuldig sterbe. Im Hamlet bereiten Todtengräber ein Grab, wobei sie trinken, Gassenhauer singen und über die aufgeworfenen Totenschädel Späße machen, wie sie für Leute ihres Gewerbes passen; was aber dabei

*) Die spätere Veröffentlichung erklärt die offenbar erst nachträglich eingefügte Bezugnahme auf frühere Besprechungen Sh.'s.

**) 47, 272. Merkwürdigerweise spricht V. von Sh. immer nur als von einem Tragiker; seine Lustspiele scheint er nie gelesen zu haben.

***) Ueber chronologische Angaben mit V. zu rechten, wäre pedantisch.

wunderbar ist: solche Possen hat man nachgeahmt. Im Julius Cäsar erscheinen Schuster und Altflicker neben Cassius und Brutus auf der Bühne und treiben ihre Scherze. Ihr werdet euch ohne Zweifel beklagen, daß diejenigen, welche euch bisher vom englischen Theater und besonders von diesem berühmten Shakspeare gesprochen, euch immer nur seine Fehler gezeigt haben, und daß niemand es unternommen, die Stellen zu übersetzen, welche alle Fehler wieder gut machen . . . Ich habe einen Versuch gemacht; es ist der Monolog Hamlets (To be, or not to be):

„Demeure, il faut choisir, et passer à l'instant
De la vie à la mort, et de l'être au néant.
Dieux justes, s'il en est, éclairez mon courage.
Faut-il vieillir courbé sous la main qui m'outrage,
Supporter ou finir mon malheur et mon sort?
Qui suis-je? qui m'arrête? et qu'est-ce que la mort?
C'est la fin de nos maux, c'est mon unique asile,
Après de longs transports, c'est un sommeil tranquille.
On s'endort, et tout meurt. Mais un affreux réveil
Doit succéder peut-être aux douceurs du sommeil.
On nous menace; on dit que cette courte vie
De tourmens éternels est aussitôt suivie.
O mort! moment fatal! affreuse éternité!
Tout coeur à ton seul nom se glace épouvanté.
Eh! qui pourrait sans toi supporter cette vie?
De nos fourbes puissans bénir l'hypocrisie?
D'une indigne maîtresse encenser les erreurs?
Ramper sous un ministre, adorer ses hauteurs?
Et montrer les langueurs de son ame abattue,
A des amis ingrats, qui détournent la vue?
La mort serait trop douce en ces extrémités.
Mais le scrupule parle, et nous crie, arrêtez.
Il défend à nos mains cet heureux homicide,

Et d'un héros guerrier, fait un chrétien timide.“

Diese Uebersetzung giebt einen um so sichreren Anhalt für die Art, wie V. Shakspeare's Schönheiten auffaßte, da sie mit dem Anspruch auftritt, eine Verbesserung zu sein. Er läßt ihr eine wörtliche Uebertragung folgen, welcher ein unverdorbener Geschmack unbedingt den Vorzug geben würde, die er aber nur anhängt, um den Zauber seiner französischen Verse recht fühlbar zu machen*).

* Man vergleiche folgende Stellen: Mourir, dormir, rien de plus; et par ce sommeil, dire: Nous terminons les peines du coeur, de dix mille chocs

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