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und Schlachten mußte man wohlgekleidet erscheinen als wenn nichts vorgefallen wäre. Das Kostüm wurde durch den Zeitgeschmack vorgeschrieben; Andromache trug Reifrock und Schleppkleid, Achill und Cäsar Allongenperrücke, Treffenhut, Manschetten, Rock und Weste mit langen Schößen; nur beim Beten war es Styl, daß Polyeuct sich die Handschuhe abzog*). Die ganze dramatische Action regelte das Bewußtsein, daß man sich bei Hofe befand. Die Ohrfeige, welche Graf Gormas dem Diego giebt, bewies der französischen Kritik, daß der Cid noch den roheren Anfängen der Kunst angehörte, und trug dem Stück den Namen einer Tragikomödie ein**). Das Sterben mußte auch in der vornehmsten Gesellschaft erlaubt bleiben, aber andre umzubringen verstieß gegen die Palastordnung und durfte darum nur hinter der Coulisse ge= schehn. Der Anblick von Leichen war verpönt***). Nicht minder Alles, was zu sehr an die physische Natur des Menschen erinnerte, z. B. Essen und Trinken. Bei der ersten Vorstellung der Mariamne, in dem Augenblick als M. den Giftbecher an die Lippen sette, erhob das Publikum ein lautes Geschrei: la reine boit! so daß die Vorstellung unterbrochen werden mußtet). So mußte es denn in den von Voltaire aufgeführten Beispielen auch unzulässig erscheinen, daß eine Person auftrat, die des Diebstahls verdächtig war, daß ein Kavalier vor einem wüthenden Weibe zitterte, daß er sich vor versammeltem Hofe schlafen legte††), daß eine Dame von ihrem Alter sprach, ein Knecht bäurisch naive Bemerkungen über Edelsteine machte, und eine Gesellschafterin der Königin vom Fieber redete, statt von Krankheit im Allgemeinen, während es sich geziemt hätte, erst die Frage des Fürsten nach der Art der Krankheit abzuwarten. Wir könnten das Verzeichniß solcher vermeintlichen Unschicklichkeiten leicht bereichern, doch werden die angeführten es hinlänglich darthun, wie das Geschäft des französischen Tragikers einem Eiertanz glich, und welche Bewunderung es verdient, daß es unter allen Rücksichten und Hindernissen wenigstens

*) Volt. 47, 268, und besonders 50, 196 u. 341.

**) 50, 112.

***) 1, 306.

†) 1, 200. 49, 340.

††) Le sommeil du jeune homme est le comble du ridicule, schreibt der angebliche M. de la Lindelle 3, 241.

Einem Dichter der alten Schule, Racine, verhältnismäßig gelungen ist, lebens- und seelenvolle Schöpfungen hervorzubringen.

Es gelang ihm vornehmlich dadurch, daß er zu seinem Hauptmotiv die einzige sanftere Empfindung machte, welcher das Herz seines galanten Publikums offen stand, nemlich die Liebe. Um fie bewegt sich das Interesse aller seiner Dramen, mit Ausnahme der Athalie. Sonst war es ein harter und strenger Heroismus, ein fanatisches Ehrgefühl, die Leidenschaften der Ruhm- und Herrsch)= sucht, was der Denkweise der Zuschauer am meisten zusagte und die falte Eintönigkeit Corneilles bedingte. Um ihr abzuhelfen und der Handlung mehr Wärme und leichtern Fluß zu geben, fügte auch Corneille in seine Stücke regelmäßig ein Liebesverhältnis ein, aber meist als überflüssiges und leicht abzulösendes Beiwerk. Dies waren die amours de commande, gegen welche Voltaire nicht müde wird zu eifern*). Er selbst braucht das Wort, welches Lessing später gegen ihn kehrte, eine solche beiläufige phrasenhafte Liebe verdiene nur den Namen Galanterie**); er rechnet es Racine zum Ruhme, daß seine Athalie die erste davon freie Tragödie gewesen***), und fordert, daß die Liebe im Drama entweder die erste Stelle einnehme oder fortbleibe. Es sei unerträglich, wenn Cäsar in Corneilles Pompejus lui (à Cleopatre) trace des soupirs, et d'un style paintif, dans son champ de victoire il se dit son captif; wenn er den Antonius frage: avez-vous vu cette reine adorable? wenn der alte Sertorius sage: J'aime ailleurs; à mon âge il sied si mal d'aimer, que je le cache même à qui m'a su charmer; oder Theseus im Oedipus: Quelque ravage affreux qu'étale ici la peste, l'absence aux vrais amans est encore plus funeste†).

Nichtsdestoweniger stimmt er, wo es sich um einen Vergleich mit dem Auslande handelt, einen ganz andern Ton an. Dann soll es zuerst Corneille, und nach Corneille kein andrer als Racine gewesen sein, der die Sprache des Herzens verstanden; die engli= schen Dichter haben Liebende wie Schauspieler reden lassen, die

*) 1, 312. 2, 25; 297. 3, 221; 225; 338. 4, 10. 5, 311. 6, 4. 7, 280. **) 1, 312.

***) 3, 222. 50, 56.

†) Alle diese Beispiele überbietet Voltaire selbst im Triumvirat 5, 117.

französischen allein wie Liebende; Wahrheit und Natur finde man bei diesen allein. Kein Dichter in der Welt hat sich wol so unfähig gezeigt, seine Kunst auf Regeln zurückzuführen, wie Voltaire. Der französische Klassicismus entsprach seiner eigenen dichterischen oder vielmehr stylistischen Begabung, und er wurde sich seiner Meisterschaft in dieser Gattung froh bewußt, wenn er in 14 bis 20 Tagen eine ganze Tragödie entwarf und niederschrieb. Dabei aber verließ ihn nie völlig das richtige Gefühl, daß sie Eine Forderung, und vielleicht die wichtigste, unbefriedigt lasse, daß das Herz bei ihr leer ausgehe. Er ahnt, daß es etwas Andres und Höheres ge= ben müsse und weist sehnsuchtsvoll ins Unbestimmte; in demselben Augenblick zieht ihn jedoch seine eigne Ohnmacht in den Kreis des Vorhandenen zurück. So bewegt er sich sein Leben lang in Widersprüchen und Cirkelschlüssen. Auf die Frage: was echte Poeste sei? hat er die theoretische Antwort: was der Wahrheit und Natur entspricht, und als Beispiele: Racine und Virgil; auf die weitere Frage, was unter Natur zu verstehen, folgen regelmäßig die Schlagwörter bienséance und délicatesse, und als abschreckende Beispiele des Gegentheils Homer, Dante, Lopez de Vega, und namentlich die englischen Dichter*). Hofmännische Feinheit und Zierlichkeit des Ausdrucks, epigrammatische Zuspihung der Gedanken, sinnreiche Antithesen, das war es, was er selbst besser verstand als irgend einer in seiner Zeit, und das mußte denn am Ende auch das Wesen der Poesie sein. Er konnte wol hin und wieder irre werden, aber nach jeder Schwankung kann man sicher darauf rechnen, ihn bei dem Schlußz anlangen zu sehn, daß Alles auf den schönen Styl (l'élégance, l'harmonie, les charmes des vers)**), den glücklichen Gebrauch der Worte***), geschicht überwundene Sprach

*) 2, 20. 3, 229 u. oft. Vgl. den Artikel Goût in seinem Dict. philos. 40, 487: Y a-t-il un bon et un mauvais goût? oui, sans doute, quoique les hommes diffèrent d'opinions, de moeurs, d'usages. Le meilleur goût en tout genre est d'imiter la nature avec le plus de fidélité, de force et de grâce. Mais la grâce n'est-elle pas arbitraire? non, puisqu'elle consiste à donner aux objects qu'on répresente de la vie et de la douceur. Entre deux hommes dont l'un sera grossier, l'autre délicat, on convient assez que l'un a plus de goût que l'autre. Darauf folgen Beispiele.

**) 1, 309.

***) 50, 198.

schwierigkeiten*), mit einem Wort auf die beautés de détail **) anfomme.

Darum durfte man ihm auch nicht an den drei Einheiten rütteln, welche teils durch) Mißverständnis des Aristoteles, teils durch die Sucht, die Griechen zu überbieten, in die französische Bühnentechnik gekommen waren. Gegen Lamotte, der ihre Unhaltbarkeit zuerst zur Sprache gebracht, tritt er mit dem fanatischen Grimm eines Zionswächters auf***). Die drei Einheiten nicht zu beobachten, sei einzig Schwäche und Unfruchtbarkeit†). Daß sie ein Krebsschaden des französischen Dramas und die Haupturfache des Mangels an Handlung, und der langweiligen conversations und récits waren, über die er so oft klagttt), ahnt er nicht. Vielmehr verlangte er eine noch strengere Observanz: einen Schauplatz für die Handlung, der in der Wirklichkeit nur dem Bühnenraum gleichkam, und eine natürliche Zeitdauer, die den zwei bis drei Stunden der Aufführung genau entsprach, während man sich bis dahin erlaubt hatte, einen in sich abgegrenzten Ort, 3. B. einen Palast, und die Zeit von 24 Stunden als Maß der natürlichen Handlung anzunehmen. In der Praxis wußte er sich allerdings die Schwierigkeiten zu ebnen. So ist der Schauplat seines Triumvirats" die Flußinsel, auf welcher Antonius und Octavian ihre Proscriptionsliste entwarfen, in ihrer ganzen Ausdehnung. Und zwar hat sie bei V. Plaß für mehrere Feldlager, ist von einem Gebirge durchzogen, in dem man sich verirrt, und hat ein felsiges Vorgebirge, an welchem eine Flotte scheitert. Mit der Einheit der Zeit hatte es für ihn noch weniger Gefahr, da es in seiner Hand lag, alles Mögliche und Unmögliche in die Dauer von drei Stunden zusammenzudrängen. In seiner Mariamne z. B. wird beim Beginn des Stücks die Rückkehr des Herodes aus Rom als nahe bevorstehend erwartet; im zweiten Act erhält seine Schwester Salome einen aus Rom datirten Brief

*) 1, 79. 9, 340.

**) 6, 115. 10, 353. 50, 40. ***) 1, 67. 49, 323. 50, 51. †) 1, 306.

++) Er kannte sehr wohl das horazische: Segnius irritant animos demissa per aurem quam quae sunt oculis subjecta fidelibus, et quae ipse sibi tradit spectator. Vgl. 2, 299.

von ihm; im dritten hört man, daß er in Palästina gelandet und sein Hof ihm an die Küste entgegengezogen ist. Gleich darauf erscheint er auch schon auf der Bühne, nachdem er, wie wir von ihm erfahren, seiner Gattin Mariamne vorher einen Besuch abgestattet. Zwischen dem 3. und 4. Act wird eine Schlacht ge= liefert; im vierten tritt Herodes als Sieger auf und befiehlt ein Schaffot für Mariamne zu errichten. Man meldet ihm, daß das Volk sich empört und das Schaffot demolirt hat; er eilt zu neuem Kampfe hinaus. Zwischen dem 4. und 5. Act eine zweite Schlacht. Die Partei der Königin ist siegreich, aber sie benut aus Edelmut ihren Sieg nicht; im 5. Act wird ein neues Schaffot errichtet und Mariamne zur Enthauptung abgeführt. Herodes erfährt ihre Unschuld und verfällt in Wahnsinn. Alles dies soll in drei Stunden geschehen sein, während doch offenbar schon die einmalige Aufzimmerung des Schaffots wenigstens so lange dauerte.

Die Summe aller Voltaireschen Kritik in seiner frühsten wie in der spätesten Zeit war, daß die Franzosen nicht nur alle modernen Nationen auf dem Gebiete der Poesie im Allgemeinen und des Dramas insbesondere überträfen, sondern auch die Griechen, die man bei aller Anerkennung doch nur als Anfänger und Vorläufer betrachten könne; daß Paris hoch über Athen, Corneille und Racine über Sophocles und Euripides stehen. Wie könnte es auch anders sein! In Athen führte man nur vier Schauspiele im Jahr auf, in Paris täglich mehr als vier; dort gab es nur 10000 Bürger, hier unter 800000 Einwohnern mindestens 30000 Kenner, die durch täglichen Theaterbesuch ihr Urtheil bildeten" *). Voltaire war in dieser Beziehung nicht seiner Zeit voraus, wie man mitunter behauptet hat, sondern stand den einsichtsvollsten unter seinen französischen Zeitgenossen, einem Lamotte, einem Diderot, einem Rousseau, einem Jaucourt als Repräsentant und Verfechter einer veraltenden Ansicht gegenüber, und blieb selbst

*) 3, 233. Wahrscheinlich kannte V. das griechische Drama nur aus Uebersetzungen, und aus französischen Uebersetzungen! Doch das focht ihn nicht an. Den fleißig citirten Aristoteles hatte er sicherlich nicht im Original gelesen, sonst konnte er (50, 33) unmöglich schreiben: Il se pourrait que les mots grecs qui répondent chez Aristote à bon et meilleur, ne signifiassent pas précisément ce que nous leur fesons signifier. Il n'y avait peutêtre pas d'équivoque dans le texte grec, et il y en a dans le français.

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