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ob er auf das Verdienst, Shakspeare in Frankreich eingeführt und eine Reform des Dramas unternommen zu haben, begründeten Anspruch machen kann.

Für gewisse Mängel der französischen Bühne war er nicht blind. „Bei allen Schönheiten, sagt er*), litt unsere Bühne an einem verborgenen Fehler, den man nicht gewahr wurde, weil das Publikum von selbst nicht deutlichere Begriffe haben konnte als die Meister der Kunst. Dieser Fehler wurde erst von St. Evremond hervorgehoben; er bemerkt, daß unsre Stücke keinen hinlänglich starken Eindruck machen; statt des Mitleidens erregten sie höch= stens eine sanfte Rührung (de la tendresse); die Bewegung vertrete die Stelle des Ergriffenseins (saisissement), die Verwunderung die des Entsetzens; es fehle unsern Empfindungen an der rechten Tiefe. Man muß gestehn, daß St. Evremond den Finger auf die geheime Wunde des französischen Theaters gelegt hat. Es hat uns fast immer am gehörigen Grade Wärme gefehlt, alles Uebrige hatten wir." Diese Stelle hat schon Leffing in seiner Dramaturgie mit dem Zusatz angeführt, daß an allem Uebrigen nichts gelegen sei, wenn die Tragödie ihre eigentliche Absicht verfehle, die Erweckung des Mitleids. Den Hauptgrund jener Wirkungslosigkeit berührt Voltaire in seiner weiteren Auseinanderseßung nicht. Er nennt den esprit de galanterie, die Neigung zu conversations, die mesquinerie der Theatergebäude u. s. w., nicht aber was an Allem Schuld war die völlige Trennung der Literatur vom Leben, ihre Entfremdung von allen nationalen Interessen, von den Erinnerungen der eigenen Vergangenheit, von allen heimatlichen Anschauungen und Empfindungen, die ausschließliche literarische und pädagogische Geltung des klassischen Alterthums, welche noch überall, wo sie in dem Maße Plaß griff, zum Kultus der bloßen Form, zur Austrocknung der eigentlichen Lebensquellen der Poesie geführt hat. Diese Richtung lag überhaupt in der Zeit und beherrschte Deutschland und das nachshakspearesche England nicht minder als Frankreich; in letterem Lande that ihr aber mehr als irgendwo die staatliche Centralisation Vorschub.

*) 47, 267. Daß bei der zunächst folgenden Zusammenstellung die Chro nologie von untergeordneter Bedeutung schien, mag zum Ueberfluß bemerkt werden.

Das L'état c'est moi war ein Wort von unberechenbarer Tragweite: nicht nur der politische Organismus, auch das geistige Leben, die Literatur war zunächst nur für Ludwig XIV. da, die Tragödie für die Hofbühne von Versailles geschrieben. Ihr Ton und Styl mußte der poetisch zugestußte Ton und Styl des Hofes sein, wo es schon ein großes Verdienst war, durch Inhalt und Ausdruck keinen Anstoß zu geben. Dem allmächtigen Fürsten, für. den man dichtete, durfte man von keinem Volk, am wenigsten von einem französischen Volk sprechen, oder von Dingen, die die Menge ebenso gut und wohl noch mehr interessirten als ihn; Alles, was in ihren Herzen einen selbstständigen Nachhall gefunden hätte, alles Große, wie la Bruyère sagte, war ein verschlossenes Gebiet, und dem Dichter blieb nichts übrig als sich mit Kleinigkeiten zu beschäftigen, denen er durch die Schönheit des Styls ein Ansehn gab". Da war denn das neutrale Gebiet des Altertums willkommen, zu dessen lebendigerem Verständnis jede Brücke abgebrochen war und dessen Republikanismus sogar sich für Schule und Leben gleich harmlos erwies*). Moderne Stoffe wurden hin und wieder wol gewählt, kamen aber immer mehr aus der Mode und erschienen am Ende als unerlaubt. Dazu kam dann noch der Anreiz, mit den gefeierten Griechen auf ihrem eigenen Grund und Boden einen Wettkampf einzugehn, bei dem man selber den Preisrichter spielte und sich nach willkürlichen Satzungen. den Sieg zuschreiben konnte, während man freilich in den Augen aller wahren Sachverständigen die vollständigste Niederlage erlitt.

Gelegentlich streift Voltaire an den Kern der Frage an. Das französische Drama sei arm an Handlung und großen Interessen, schreibt er 1735**), weil die Nation keine solche kenne. Er beneidet die Engländer, daß bei ihrem Theaterpublikum das Wort Vaterland denselben Applaus hervorrufe wie in Frankreich das Wort Liebe***). Doch solchen Aeußerungen

*) Als Lafosse 1698 Ottway's Venice preserved für die französische Bühne bearbeitete, mußte er aus Venedig Rom, aus Pierre Manlius, aus Priuli Valerius machen, u. s. f. Volt. 1, 301. Lacr. 9. Das Treffendste, was über diesen Gegenstand wol je gesagt ist, oder gesagt werden kann, steht in Rousseaus Nouv. Héloise 2. Th. 17. Br.

**) 56, 311.

***) 2, 8.

wird man wenig Gewicht beilegen, wenn er an derselben Stelle hinzufügt, zur Zeit Corneilles sei das anders gewesen, damals seien die Gemüther erfüllt gewesen von den Kriegen der Fronde, und eben darum habe ein Dichter erstehen können wie Corneille.

In der Regel sind es nur Aeußerlichkeiten, worin er den Grund für die Kälte und Effectlosigkeit des französischen Dramas sucht. Er ist unerschöpflich in Klagen über den engen Bühnenraum, der es nicht gestattete, große Zurüstungen zu machen, Triumphzüge, Feierlichkeiten aller Art, kurz das zu veranstalten, was er unter dem Namen appareil begreift, und worin er den einzigen Vorzug des griechischen Theaters sieht*). Den meisten Verdruß machte ihm die üble Sitte, daß vornehme Zuschauer das Rechtund die Gewohnheit hatten, zu beiden Seiten der Bühne auf eigens dazu bestimmten Seffeln Platz zu nehmen, wodurch sie den Spielraum oft dermaßen beengten, daß die Reifröcke der Phädren und Denonen nur mit Mühe sich dazwischen bewegen konnten**). Den Grafen Lauraguais, welcher in Folge eines mehr lächerlichen als ärgerlichen Auftritts in der Semiramis diesen Mißbrauch in Paris endlich abstellte, preist er als den größten Wohlthäter der schönen Künste und des guten Geschmacks***). Das Uebel war allerdings arg, und nicht blos wegen der Raumbeschränkung. Die Zuschauer auf der Bühne benahmen der Handlung alle Illusion, und was noch schlimmer war, sie wirkten höchst nachteilig auf den dramatischen Styl. Denn da es meist jüngere Leute waren, die mit ganz andern Gedanken hinkamen als an die Aufführung, so konnte es nicht fehlen, daß sie manches sehr störende Zwischenspiel zum Besten gaben. Sie gaben überdies bei jeder unpassend erscheinenden Gebärde, bei jedem verfänglichen Wort das Signal zu Spott und Gelächter und trugen nicht wenig dazu bei, die Furcht vor der Lächerlichkeit, diese Todfeindin des Tragischen, zu krankhafter Reizbarkeit zu steigern†). Dem unglücklichen Dichter schwebten am Schreibtisch nicht nur die einschüchternden Gestalten Ludwigs XIV.

*) 3, 340. 4, 354. 9, 404. 15, 199.

**) 1, 300. 3, 340. 12, 177. 47, 269. ***) 8, 3.

†) 5, 85: Il est à croire que c'est cette crainte du ridicule, qui a presque toujours resserré la scène française dans le petit cercle des dialogues, des monologues et des récits.

und seiner Großen, sondern auch die petits maîtres der Bühne vor Augen, und er strich — gewiß nicht selten mit schweren Seufzern Alles, worüber man in dieser profaischen Gesellschaft die Nase rümpfen founte.

Wenn Voltaire auf Einzelnes zu sprechen kommt, was nach seiner Meinung gegen den herrschenden dramatischen Styl verstieß oder bei der Aufführung als unpassend erschienen war, so pflegt er sich in Ermangelung vernünftiger Gründe auf das specifischfranzösische Zartgefühl (délicatesse), und im äußersten Nothfall auf das Herkommen, die Sitte (usage) zu berufen. „Unser Zartgefühl, schreibt er an Maffei bei Gelegenheit von dessen Merope*), ist bis zum Uebermaß verfeinert; wir sind vielleicht verwöhnte Sybariten; wir können einmal den naiven idyllischen Ton nicht vertragen (cet air naïf et rustique, ces détails de la vie champêtre), den ihr vom griechischen Theater entlehnt habt. Man würde es, fürchte ich, bei uns nicht dulden, daß der junge Aegisth demjenigen, der ihn festnimmt, seinen Ring schenkt und sich hinterher wieder in Besiz desselben setzt. Ich würde es nicht wagen, einen Helden für einen Dieb halten zu lassen, wenn gleich die Lage, in der er sich befindet, den Irrtum rechtfertigt. Unfre Sitten würden uns hindern, den Mörder des Gatten und der Söhne Meropes um die Königin werben und letztere erwidern zu lassen: Warum habt ihr mir nicht vor Jahren von Liebe ge= sprochen, als der Reiz der Jugend noch mein Antlig schmückte? Solche Redensarten sind in der Natur, aber unser Parterre, bisweilen so nachsichtig, und dann wieder so zartfühlend, könnte sie zu zwanglos finden. Auf unserm Theater ist es auch unausführbar, daß Merope ihren Sohn an eine Säule binden läßt und zweimal mit Spieß und Beil auf ihn einrennt, während der Jüngling zweimal vor ihr flieht. Noch weniger würden unsre Sitten es erlauben, daß die Vertraute Meropes den jungen Aegisth be= redet, sich auf der Bühne schlafen zu legen, damit die Königin zum Herbeikommen Zeit gewinnt. All dergleichen, wie gesagt, ist sehr natürlich, aber Sie müssen es unsrer Nation schon zu gute halten, wenn sie die Natur nur mit gewissen Zügen der Kunst sehen will (avec certains traits de l'art). Dasselbe gilt von der

*) 3, 229.

Gej. Abh. v. Dr. Alex. Schmidt.

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Stelle, wo der Mensch, welcher Aegisth festhält und ihm den Ring abnimmt, zu ihm spricht: „Tragen in deinem Lande die Knechte so kostbare Edelsteine? Dein Land muß ein schönes Land sein, bei uns würde ein solcher Ring keinem König Schande machen. Oder wo die Vertraute Meropes auf die Bitte des Tyrannen, die Königin für ihn zu stimmen, die Antwort giebt: Es wäre vergebene Mühe, es zu verheimlichen: die Königin hat das Fieber und braucht einige Tage, um wieder zu Kräften zu kommen." Wir sehen, Voltaire steht ganz auf der Seite des usage, mit welchem er seine eigene Mißbilligung deckt, ohne zu ahnen, daß er in einer nationalen oder vielmehr zeitlichen Beschränktheit wurzelt.

Um zu diesen vereinzelten Proben der französischen Delicatesse die Erklärung zu finden und Quelle und Wesen des Herkommens zu verstehen, müssen wir es uns stets gegenwärtig erhalten, daß das Hoftheater des Versailler Schlosses ursprünglich die dramatische Norm feststellte, welche für sämmtliche französische Bühnen maßgebend wurde. Die Aufführung durfte keinen Augenblick den Charakter eines für den König veranstalteten Festes verlieren, bei dem die Etiquette noch strenger herrschte als im ernsten Gang der Geschäfte. Die dargestellten Personen mußten Leute von Stande sein, die der Ceremonienmeister zum Lever Ludwigs würde zugelassen haben, wo möglich Fürsten, zum mindesten Vertraute und hochstehende Diener von Fürsten. Ein Mann aus dem Volke, etwa ein gemeiner Soldat oder ein Domestike, war hin und wieder nicht zu entbehren, aber wenn man ihn auftreten ließ, so durfte er doch nicht sprechen *). Der Dialog mußte in der Regel nur zwischen zwei, oder höchstens zwischen drei Personen stattfinden; daß vier in einer Scene das Wort nahmen, galt für ein Wagnis **). Jeder hatte sich zu halten und die Worte zu setzen, wie man sich wünschen würde, vor Fürsten zu sprechen, geistreich, treffend, gedankenvoll, und namentlich mit Maß. Untadelige Toilette war ein Haupterfordernis; selbst nach einem Morde, nach Zweikämpfen

*) Voltaire läßt in der Mariamne (V, 4) eine Wache auftreten und einen Rapport von 5 Zeilen abstatten. Um auf die Ungeheuerlichkeit vorzubereiten, heißt es im Personenverzeichnis: Un garde d'Hérode, parlant.

**) Es geschieht z. B. Corneille Cid 4, 5. 5, 6. 5, 7. Hor. 2, 6. 5, 2. Racine Fr. Enn. 2, 3. 3, 5. Athal 2, 7. Gar fünf finden sich in Fr. Enn. 4, 3. 5, 3.

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