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bildung beschäftigt war, spricht es wiederholt aus, daß man ihn darum nicht tadeln solle, weil er des Tages warte, wo der Ruf des Herrn an ihn ergehen werde, und weil er einzig darauf bedacht sei, daß seine innere Reife dem ihm zugedachten Amt entspreche. Er hielt sich für ein auserwähltes Rüstzeug zu dem großen Entscheidungskampf zwischen Recht und Unrecht, Tugend und Laster, Wahrheit und Lüge, und so waren nach Absicht und Wirkung auch seine dichterischen Werke, und nicht blos seine prosaischen Streitschriften, gleichsam Waffen, hartgeschmiedete und scharfgespiste Pfeile, die er ins Lager der Gegner absandte. Der Ruf von den im Jahre 1638 ausgebrochenen Unruhen traf ihn mitten auf seiner italienischen Reise, auf welcher er wie niemals vorher den Reiz des Lebens empfunden; die bedeutendsten Männer in Florenz und Rom bemühten sich um den Umgang des noch rang- und namenlosen Fremden, dem kein Akademiker ihres Landes in der Eleganz und Leichtigkeit gleichkam, mit welcher er lateinische und italienische Gedichte aufs Papier hinwarf; die innigsten persönlichen Verhältnisse knüpften sich an; dazu kam der Zauber, den er wie kein andrer auf dem klassischen Boden empfand, und nun gar noch die Aussicht, auch Griechenland zu be= suchen, die Stätte zu betreten, wo sein Plato und Euripides ge= wandelt! Aber er riß sich von Allem los, sobald die Kunde von den Vorgängen in der Heimat ihn erreichte, und eilte zurück, um sich mit allen seinen Kräften in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Und als sein Kampf ausgekämpft war, als Blindheit ihm die Nacht gebracht, in der er nicht mehr wirken konnte, fand er in dem Reich der Poesie, in welches er sich flüchtete, nicht die Befriedigung einer contemplativen Natur; vielmehr legte er sich die bange Frage vor, welches Maß der Arbeit demjenigen werde abgefordert werden, dem das Licht versagt sei, und gab sich die tröstende Antwort: Gott braucht nicht Menschenschweiß

Und Menschengaben; die am besten tragen
Sein sanftes Joch, sind seine liebsten Kinder;
Bereit sind auf sein königlich Geheiß

Viel tausende, durch Land und Meer zu jagen;
Die stehn und warten, dienen ihm nicht minder.

Milton war ein Puritaner im höchsten und besten Sinne des Worts. Von seinem Vater, der für den protestantischen

Glauben Ausstoßung aus dem katholischen Elternhause und jede Not des Lebens getragen hatte, erbte er den unerschütterlichen Glaubensmut und das richtige Maß für den Wert menschlicher Dinge; mit vielen andern seiner Partei war ihm die feurige Thatkraft gemein, welche kein Opfer scheute für die bedrückte und streitende Kirche. Er verlangte mit den Puritanern die Wiederherstellung der ecclesia pura, der ursprünglichen apostolischen Kirchenverfassung, die Reinigung des Kultus von Allem, was ihm noch aus der katholischen Zeit anklebte; und wie die enge Verflechtung staatlicher und kirchlicher Organisation in England es bedingte, freie Selbstregierung auch der politischen Gemeinde; aber er wußte es besser als seine Parteigenossen, daß das Reich Gottes nicht mit äußeren Gebärden kommt, daß es sich allein auf hei= liger und echt christlicher Gesinnung erbaut, und daß, wo dies Salz der Erde fehlt, keine Formen und Ceremonien der Fäulnis und Verderbnis wehren können. Darum hielt er sich frei von dem, was den Puritaner gemeinen Schlages auf den ersten Blick kennzeichnete. Seine Erscheinung hatte nichts von dem Zerrbilde, welches Dichter und Geschichtschreiber jener Zeit von den Heiligen des Landes entwarfen, von jener Figur mit dem eigentümlich altväterischen Schnitt des Rocks, dem dicht über der Haut geschorenen Haar, dem salbungsvoll-näselnden Ton und dem alttestamentlichen Jargon in Miltons würdiger und fast diplomatisch feiner Haltung verriet sich sofort der Mann von Geschmack und Bildung. Ebenso wenig war es seine Sache, die Conventikel der Puritaner zu besuchen und sich an ihrer leidenschaftlichen Beredsamkeit zu erhißen. Seine englischen Zeit- und Parteigenossen wurden dadurch an ihm irre, und auch dem heutigen Stock-Engländer ist es noch ein unlösbares Problem, was uns Deutschen, die wir allenfalls zwischen Religiosität und Kirchlichkeit zu unterscheiden wissen, schon faßlicher ist: daß der Verfasser des Verlorenen und Wiedergewonnenen Paradieses so gut wie nie die Kirche besuchte. Sein ganzes Leben war ein Gottesdienst; ihn brauchte nicht erst der Wochenkalender zur Andacht zu rufen. Unbedingt gläubig wie er war, und treu den Geboten der Offenbarung, ruhte seine Auffassung religiöser Vorschriften und Sahungen doch ganz in dem erhabenen Geiste der Bergpredigt und in der Ueberzeugung, daß Handlungen und Uebungen nur Wert haben durch den Gedanken,

der sie eingiebt, und daß nur diejenigen Gott schauen sollen, die reines Herzens sind. Es war ihm buchstäblicher Ernst mit der leiblichen und geistigen Gottähnlichkeit des Menschen, und wie mit Flammenschrift stand vor seiner Seele und brannte auf seinem Herzen das Wort: Ihr sollt vollkommen sein, gleich wie euer Vater im Himmel. Die hervorstechendste Eigenschaft aller seiner Schriften ist ihr furchtbarer Ernst, und wie seine Schriften, war auch sein Leben. Mit dem sittlichen Pathos, welches ihn nach allen Enttäuschungen und Bitterkeiten des Lebens aus seiner frühsten Jugend in das Greisenalter begleitete und keinen Augenblick von ihm wich, nahm er Leib und Seele in die strengste Zucht und wachte über sie als einen geweihten und heiligen Gottestempel. Auf der Universität, wo ihm seine zarte Gestalt und die mädchenhafte Schönheit seiner Gesichtszüge, noch mehr aber die Züchtigkeit seines Wesens den Beinamen The Lady verschaffte, suchte er es zwar in allen männlichen Uebungen, namentlich im Fechten, seinen Altersgenossen zuvor zu thun, aber er wandte sich mit unverhohlenem Widerwillen von ihrem leeren geselligen Wohl= leben, ihren nichtigen Zerstreuungen und Ausgelassenheiten ab. Den echten Puritaner durften weltliche Freuden nicht verführen, mochten sie auch in noch so unschuldige Gestalt sich kleiden; er riß jede Neigung aus dem Herzen, wenn sie nicht dem Einen Zweck diente, ihn besser und weiser zu machen. Und in der That war es ihm beschieden, ein langes Leben hindurch in bestän= digem Einklang mit sich selbst zu sein und ohne Reue daraus zu scheiden. Allerdings waren seine Sinne zu lebhaft, der Drang des physischen Wohlgefühls in ihm zu mächtig, seine Genußfähigkeit zu groß, daß er ohne Versuchung hätte bleiben können, und im wehmütigen Gedanken an das, was Andere genossen und er entbehrte, dichtete er sein Allegro, ein Lied an die Freude, worin er sich die Wonne ausmalt, dem Zuge seiner finnlichen Natur folgen zu dürfen, früh Morgens dem Gefang der wirbelnden Lerche nachzugehen, der im Waldgrund hinbrausenden Jagd zu lauschen, sich am Liede des Pflugknechts, am Geplauder der Landleute um den flammenden Kamin zu ergößen, und verstohlen in die Fenster des von hohen Bäumen umkränzten Schlosses zu spähen, wo die Schönste des Landes wohnte. Doch diese schwächliche Regung kämpfte er rasch nieder, und unmittelbar

darauf, jedenfalls ohne Pause des Uebergangs und der Umstimmung, entstand das Penseroso, worin er die Freuden als die Brut der Thorheit von sich scheucht und die Schwermut anruft als seinen Genius, der ihn in stiller Beschaulichkeit zur Wahrheit leiten und alle Wissenskraft schauen lassen soll, bis sein Auge geklärt und sein Sinn geläutert sei, zu erkennen, zu denken und zu reden nach Art der Weisen, die die Welt verehrte.

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Sein Begriff von Weisheit aber war ganz durch das Verhältnis bedingt, in welches sich der Mensch zur Gottheit seßte. Der prometheïsche Sinn, der sich um ein Goethe'sches Wort zu brauchen mit festen markigen Knochen auf die wohlgegründete dauernde Erde stellt, den die allmächtige Zeit und das ewige Schicksal zum Mann geschmiedet, und der niemanden Dank zu schulden glaubt", galt ihm einfach als böse. Sein Teufel Mammon ist es, der ihn im Verlornen Paradies mit folgenden Worten ausspricht:

Unser Streben sei,

Das eigne Wohl auf eigne Thätigkeit

Zu gründen, eigner Kraft nur zu vertraun,
Niemand etwas zu schulden als uns selbst.
Für harte Freiheit wollen wir verschmähn
Bequeme Knechtschaft. Das sei unser Ruhm,
Geringes groß zu machen, Schädliches
Ersprießlich, Widerwärtges gut und schön.
Auf wüstem Grund erblühe das Gedeihn,
Gehorsam sei das wilde Element

Dem Fleiß, der nie erschrickt und nimmer ruht.

Durch die Beziehung auf das, was ihm der einzige Zweck des Lebens war, erhielt ihm jedes menschliche Streben erst Inhalt und Wert. So namentlich auch Wissenschaft und Kunst. Seine eigene Gelehrsamkeit hat die gerechte Bewunderung der Mit- und Nachwelt gefunden; er war einer der gründlichsten Kenner des Altertums, er verstand mindestens Eine, wahrscheinlich zwei orientalische Sprachen und handhabte die wichtigsten modernen Idiome mit der Gewandtheit eines Eingebornen; mit einziger Ausnahme der eracten Wissenschaften war ihm kein Feld des Wissens fremd; er beschämte den gelehrten Bischof Hall durch sein feines und tiefes Verständnis der biblischen Originalterte, wie durch seine überlegene Kenntnis der Kirchengeschichte, und den noch gelehr

teren Philologen Salmafius durch die Eleganz seines lateinischen Styls und den Reichtum seiner antiquarischen Belesenheit. Aber alles Wissen achtete er für nichts, wenn es nicht dazu diente den Menschen zu veredeln, seinen Wahrheitssinn zu regeln und zu klären, seine geistige Freiheit zu befestigen, sein sittliches Urteil zu reinigen und ihn schließlich zu dem zu führen, was er ein Leben in Gott naunte; und den leeren Trieb nach Kenntnissen ohne solchen Ertrag lich er darum den Bewohnern seiner Hölle, die sich in allerlei scientifischen Untersuchungen und Forschungen zweck und ruhelos umhertreiben. Einen hervorragenden Plaß erhielt dabei die orthodore Theologie der Restaurationsperiode, welche nicht in der werkthätigen Liebe, sondern im Dogma den Kern des Christentums sah, in folgender Stelle:

Getrennt vom Haufen, saßen andre dort
In höherer Betrachtung, denn sie trug
Der Rede stolzer Flug zu Vorsehung,
Vorausbestimmung, Schicksalsfügung auf,
Was freier Wille sei, was ewger Schluß;
Und endlos trieben sie in Irren um.

Dann sprachen sie vom Gut und Bösen viel,

Von Glück und legtem Elend, Ruhm und Schmach;

Nur eitle Weisheit wars und falscher Schein;

Doch lag ein Zauber drin, der Seele Qual

Und Angst zu lindern, Hoffnung trügerisch

Zu wecken, und mit troziger Geduld

Die Brust zu gürten wie mit hartem Stahl.

Eben dort, in der Hölle, giebt es auch Bildner, welche göttergleiche Gestalten schaffen in Stein und Farben; dort ertönen auch zahlreiche Harfen zum Gesange von den heroischen Thaten und dem jähen Fall der gestürzten Engel, zu einem Trauerliede, daß das Schicksal die freie Tugend zum Knecht der Gewalt und des Zufalls mache; und die herrlichen Harmonieen lassen die Schrecken des Orts vergessen und versetzen die Zuhörer in süßes Entzücken. Also auch das Werk des Künstlers, das Lied des Dichters soll dem Einen dienen, was Not thut, und aller höchsten Lebensaufgaben stets eingedenk sein; und die Schönheit ist nichts ohne moralische Güte. Die tiefe Kluft, welche Milton von allen gleichzeitigen englischen Dichtern schied, findet in dieser Allegorie ihren vollen Ausdruck, aber nicht blos sie hat er im Auge gehabt.

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