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Die Anspielung S. 139 unten geht auf den Verfasser des Aufsages The Youth of Milton in der Edinb. Review, CXI, 1860. Königsberg, den 7. April 1864.

A. S.

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Es gab eine Zeit, wo in Deutschland kein fremder Dichter höhere Verehrung genoß und häufiger genannt wurde als John Milton. Es war damals, als im 4. und 5. Decennium des vorigen Jahrhunderts der literarische Geist nach langer Unselbständigkeit zum neuen Bewußtsein seiner Freiheit erwachte. Die Fragen, welche Publikum und Schriftsteller gleich lebhaft beschäftigten, waren zunächst rein theoretischer Art; man begann damit, Regeln festzustellen, zu prüfen, zu wählen, der erste Schritt zur Mündigkeit; man war allenfalls entschlossen, alles, was man besaß, an ein Höheres zu sehen, was des Besizes erst wert wäre. Bald trat ein unversöhnlicher Gegensatz der Ansichten zu Tage und teilte das gebildete Deutschland in zwei Feldlager. Die literarische Fehde der Schweizer und Sachsen, jene unter der Führung Bodmers und Breitingers, diese unter Gottsched und seinen Anhängern, regte die Gemüter tiefer auf als ein ähnlicher Streit es heutzutage vermöchte, vielleicht nicht minder tief als das gleichzeitige erste Auftreten des großen preußischen Königs. Es handelte sich dabei im wesentlichen nur um die Bestimmung des Begriffs der Poesie, um die Frage, ob die Befolgung gewiffer Regeln den Dichter mache, oder ob diese Regeln nur die Form und den Körper der Poesie beträfen, die eigentliche Seele derselben aber gerade in freister Individualität sich kund gebe; ob, wie man sich ausdrückte, der echte Dichter geworden oder geboren sei. Die Schweizer, welche die lettere Ansicht verfochten, beriefen sich zur Unterstützung ihrer Behauptungen besonders auf Milton; und dieser Name wurde das Feldgeschrei in einem Kampf, welcher mit dem Siege seiner Verehrer und mit seiner Verherrlichung endete. Milton galt eine zeitlang für den Dichter par excellence, für den Träger der höchsten Vorstellung, die man mit dem Namen eines Dichters verband. Und dies Urteil war von der nachhaltigsten Wirkung. Denn an Miltons Vorbild richtete sich Klopstocks Ge

nius zum Bewußtsein seines Berufs und zu der großen Schöpfung auf, welche an der Eingangspforte unsrer klassischen Literaturperiode steht. Als Milton, so schrieb Klopstock an Bodmer im Jahre 1748, mir in die Hände fiel, loderte das Feuer, das Homer in mir entzündet hatte, zur Flamme auf und hob meine Seele, um die Himmel und die Religion. zu fingen. Wie oft habe ich Ihr Bild des epischen Dichters betrachtet und weinend angestaunt, wie Cäsar das Bild Aleranders!" Von der Begeisterung für Milton erhielt die Befreundung mit der englischen Literatur, welche für Deutschland so folgenreich werden sollte, den ersten Anstoß, und so weist uns eins der wichtigsten Verhältnisse unsrer Kulturgeschichte, wenn wir es im Zusammenhange übersehen wollen, immer wieder auf ihn zurück.

In dem Maße aber, wie der literarische Verkehr mit England sich steigerte, wie der herübergeleitete Strom von anderen Seiten Zufluß erhielt und sich verbreiterte, fam seine erste Quelle allmählich in Vergessenheit. Ein andrer noch größerer Name, den Bodmer in den Vierziger Jahren nur von Hörensagen kannte und zu Sasper verunstaltete, trat weit vor und über Milton hinweg und eroberte sich im Laufe eines Jahrhunderts eine immer steigende und heute fast allgemeine und unbedingte Anerkennung. Anders Milton, für den die Bewunderung bei der ersten Bekanntschaft am wärmsten gewesen war, sich aber bald zu traditionärer Hochachtung abkühlte und in Gleichgültigkeit endete. Es geschah ihm damit nicht sein Recht, aber wohl was in der natürlichen Entwickelung der Dinge lag. Man hatte ihn gebraucht und besser brauchen können als einen anderen, so lange es galt, einen hohen Begriff von der Natur des dichtenden Subjekts zu fassen; man ließ ihn fallen, als es darauf ankam, die Sinne für das poetische Objekt, für das Reich der Erscheinungen, zu läutern und zu schärfen, und die Kraft an ihm zu üben. In der genialen Periode der Goethe'schen Jugend, wo Naturwahrheit und Volkstümlichkeit zur Losung des poetischen Schaffens wurden, konnte der Supranaturalismus und die vornehme Gelehrsamkeit Miltons sich unmöglich neben Homer und Shakspeare in der Gunst behaupten, und was er damals an Popularität gewann, hat ihm keine neue Wendung des literarischen Geschmacks wieder eingebracht. Es muß dahingestellt bleiben, ob in diesem Verhältnis eine Aenderung

denkbar und nahe ist; jedenfalls tritt heutzutage wohl niemand auch dem gebildetsten deutschen Publikum mit der Vermutung zu nahe, daß noch nicht der zehnte darunter das Verlorene Paradies gelesen, während eine ähnliche Annahme in Bezug auf Shakspeare gerechtes Aufsehen erregen würde.

Wenn ich nun dennoch den Versuch mache, Ihr Interesse für Milton in Anspruch zu nehmen, und sogar kühn genug bin; für die heutigen Mitteilungen über oder vielmehr aus Milton hier und da auf mehr als Eine flüchtige Stunde zu hoffen, so bedarf es der Rechtfertigung, weshalb ich dazu nicht sein großes Meisterwerf, welches allein unter seinen Schriften für Deutschland von literarischer Bedeutung gewesen ist, sondern zwei untergeordnete Dichtungen gewählt habe, die bei uns kaum dem Namen nach bekannt und ich weiß nicht ob jemals erträglich übersetzt sind. Es hat das keinen bessern Grund, als eine eigene persönliche Erfahrung. Erst durch die kleineren Schriften Miltons, und namentlich seine beiden Dramen Comus und Simsou, ist es mir selbst gelungen, ein Verhältnis zu dem Verlorenen Paradiese zu gewinnen. Wer wäre freilich so stumpfsinnig, nichts von dem kunstvoll gefügten Plan dieses großen Gedichts, von der priesterlichen Hoheit der Gedanken, der Durchgeistigung des einfachen biblischen Stoffs, dem immer vollen, bald sanft schwebenden, bald mächtig erbrausenden Orgelton seiner Jamben zu empfinden? Doch sicher= lich hat sich auch bei manchem Andern in dies Wohlgefallen etwas von der unbehaglichen Scheu gemischt, mit welcher der Ungeweihte den Zauberwald der Sage betrat, wo die hohen Baumkronen das Licht des Tages ausschlossen, ein Geisterwehen durch die Dämmerung ging und fremdartige, übermenschliche Gestalten schattenhaft an ihm vorüberschwebten. Erst als bei näherer Kenntnis der Lebensereignisse und Anschauungen Miltons die Personen und Tatsachen des Gedichts bestimmte Beziehungen zur Wirklichkeit und damit ein menschliches Maß annahmen, als für das Ganze in der Geschichte ein realer Boden gefunden und an die Stelle wesenloser Ideale idealisierte Wesen getreten waren, erregte es jenes Interesse und übte es jene eigentümliche geistig-sinnliche Wirkung, in welcher die Poesie ihren Anfang und ihr Ende findet. Mit Einem Worte, die Auffassung des Verlorenen Paradieses als eines aus Zeitstimmungen hervorgegangenen Gedichts, in welchem

die verschiedensten Sinnesarten und Strebungen der damaligen Gesellschaft ihren Play in Himmel und Hölle erhielten, und zwar von einem so hohen sittlichen Standpunkt aus, daß er für jede menschliche Gesellschaft Geltung behält, bot eine greiflichere Handhabe zum Verständnis und Genuß des Werks und ließ auch erst die Kunst des Dichters in vollen Lichte erscheinen, der auf die wichtigsten Fragen des menschlichen Daseins Antwort giebt, während er absichtslos mit den Gebilden seiner Phantasie beschäftigt scheint.

Und eben dieser praktische Zug in Miltons Poesie tritt nirgends deutlicher hervor als in den beiden Dramen Comus und Simson, von denen das erstere am Anfang, das lettere am Ende seiner dichterischen Laufbahn entstand, jenes uns die Gesinnung darlegt, mit welcher der Jüngling sich zu den bevorstehenden schweren Kämpfen seines Lebens auschickte, dieses die Stimmung, in welcher er aus denselben schied. Man hat diese Werke gewöhnlich nach ihrem dramatischen Inhalt beurteilt und ihnen darnach eine sehr untergeordnete Stelle angewiesen, da sie in bewegter Handlung und mannigfaltiger Charakterzeichnung nicht ihre Stärke haben. In der Vorrede zum Simson verwahrt Milton sich ausdrücklich gegen den Versuch, das Stück auf die Bühne zu bringen, und schwerlich ist dies auch jemals geschehen. Denn es ist weniger für sich ein Drama als ein lyrischer Nachhall der großen historischen Tragödie, in welcher der Dichter selbst eine so hervorragende Rolle gespielt hatte.

Die Geschichte der englischen Revolution und des Anteils, welchen Milton daran nahm, ist uns in neuer Zeit so vielfach nahe geführt worden, daß es zur Vergegenwärtigung der Verhältnisse nur einer kurzen Andeutung bedürfen wird. In dem Kampfe, welcher 1640 zwischen König und Parlament ausbrach, stellte Milton sich entschlossen und ohne allen Vorbehalt auf die Seite des leztern und verfocht die Sache der kirchlichen und bürgerlichen Freiheit in einer Reihe von Schriften, welche mit prophetischem Blick die Ziele bezeichneten, nach welchen die Menschheit in den nächsten Jahrhunderten sich bewegen sollte und zum Teil noch heute bewegt. Ihr großer Erfolg lenkte die Aufmerksamkeit Cromwells auf den Verfasser, der zum lateinischen Sekretär der Repu= blik, d. h. etwa zum Minister des Auswärtigen ernannt, in dieser

Stellung selbst dann noch einige Zeit verblieb, als seine angestrengten täglichen und nächtlichen Arbeiten ihm völlige Erblindung zuzogen. Nach der Restauration von 1660, welche er bis zum letzten Augenblick abzuwehren suchte, entging er auf eine noch nicht hinlänglich aufgeklärte Weise der Nache der siegreichen Partei und lebte bis zu seinem Tode 1674 in der stillen Zurückgezogenheit, welcher wir die reifsten Früchte seines Geisteslebens, und vor allem das Werk verdanken, das seinen Namen unsterblich gemacht hat.

Miltons moralischer Charakter hat seiner Zeit begreiflicher Weise manche Anfechtungen erfahren, und engherzige Parteimenschen haben ihn noch 100 Jahre nach seinem Tode seine politische Rolle entgelten lassen, aber aus jeder neuen Untersuchung und Prüfung ist er in immer hellerem Glanz hervorgegangen. Der Grundzug seines persönlichen Verhaltens war derselbe wie der ethische Grundzug seiner Schriften: der strengste und schonungsloseste Idealismus, den man meinethalben Schwärmerei nennen mag. Kein größerer, wenn auch kein besser gemeinter Frrfum fonnte in Bezug auf Milton begangen werden, als wenn man ihn, wie das unlängst geschehen ist, für eine im Grunde rein contemplative Natur hielt, welche in die praktische öffentliche Thätig= feit wider ihre eigene Neigung durch den Strom der Ereignisse mitgerissen wurde. Dem widerspricht fast jedes Selbstbekenntnis, welches wir von ihm besißen. So groß seine sonstige Aehnlichkeit mit unserm Schiller sein mag, unterscheidet er sich doch wesentlich von ihm dadurch, daß er auf positiv religiösem Boden stand, daß das Christentum ihm eine lebendige Wahrheit war. Er flüchtete nicht aus der Welt in das Reich der reinen Idee, um das Gute und Schöne zu finden und anzuschauen: er glaubte an eine Verwirklichung des Gottesreiches hier auf Erden. Und dafür zu arbeiten, zu kämpfen, zu leiden, war ihm die Aufgabe des Daseins. Die Ahnung, daß eine große Zeit bevorstehe, eine Zeit der Prüfung, wo das Korn sich sondern werde von der Spreu, und der Neugestaltung, wo die Gemeinde der Heiligen sich zusammenfinden werde, ging in Miltons Jugendjahren, einer Periode der tiefsten religiös-politischen Gährung, durch alle Gemüter; er selbst, der bis zu seinem 30. Jahre keinen bestimmten Beruf ergriff, sondern scheinbar schülerhaft nur mit seiner geistigen Aus

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