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dazu, mit dem Knaben eine so entehrende Untersuchung vorzunehmen und ihn wie einen Verbrecher zu behandeln?" Sich selbst verzich er eine Uebereilung am wenigsten. Als er noch in Danzig war, entschlüpfte ihm einmal einem Sekundaner gegenüber ein Schimpfwort. Der Schüler war feck genug zu sagen: „Herr Oberlehrer, schimpfen Sie mich nicht!" worauf Schm. antwortete: „Sie haben ganz recht, es soll nicht wieder geschehn."*) Seitdem fam fein entehrendes Wort mehr über seine Lippen, obwohl er seiner Natur nach zu Heftigkeit geneigt war. Er liebte die Jugend und war gern unter ihr. 1876 war er durch eine Knochenhautentzündung an der Hacke mehrere Monate lang am Gehen gehindert, aber sobald er sich mit Hilfe von zwei Krücken fortbewegen konnte, humpelte er, von einem Lehrer vor und einem hinter ihm begleitet, die Treppe zu den Klassenzimmern hinunter.

Dieselbe Humanität wie die Knaben erfuhren auch die Lehrer. Er kam ihren Wünschen gern nach und unterließ es nie, wenn er einem von ihnen Unrecht gethan zu haben glaubte, dies im Beisein anderer einzugestehen und ihn um Entschuldigung zu bitten. Einem pflichtvergessenen Lehrer konnte er die Strenge des Direktors zeigen, übrigens aber stand er stets in freundlichstem Verkehr mit den Kollegen, sodaß er je länger je mehr die Liebe und Hochachtung aller im vollsten Maße besaß.

Ob eine so zarte Behandlung der Jugend, wie Schm. sie übte, allgemein zu empfehlen wäre, mag dahingestellt bleiben, doch in seiner Schule sind übele Folgen davon nicht hervorgetreten. Der Grund liegt wohl darin, daß seine Persönlichkeit auf Lehrer und Schüler einen stillen, aber mächtigen Einfluß übte und die Quellen von Roheit und Ungehörigkeit in der Jugend allmählich zum Versiegen brachte. Ein ehemaliger Schüler sagte nach Schm.'s Tode zu den Töchtern: Ihr Vater lenkte die Schule mit den Augen."

Als er ein Vierteljahrhundert Direktor gewesen, vereinigten fich alle Generationen der früheren Schüler mit dem Lehrerkollegium, um ihm ihre Verehrung durch eine Feier, wie sie bis dahin in Königsberg nicht vorgekommen, kundzugeben, wobei denn auch eine Adresse überreicht wurde. Dergleichen Adressen erwecken

*) Ein Sextaner in Danzig rühmte von ihm: Der Oberlehrer Schmidt nimmt immer den Hut vor mir ab.

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bisweilen mit Recht den Verdacht, daß die Verdienste des Gefeierten darin durch ein Vergrößerungsglas beschaut werden. Aber wer dem Feste beiwohnte und die Stimmung der Gesellschaft aufmerksam beobachtete, konnte erkennen, daß die Adresse, obwohl sehr warm gehalten, lediglich aussprach, was in den Herzen lebendig war. Der Verfasser war eine Reihe von Jahren Schm.'s Schüler und dann fast ebenso lange sein Kollege gewesen. Den Kern der Ansprache teilen wir mit, es heißt darin: „So tief verpflichtet kann kein anderer Ihnen sein, der nicht gleich uns eine Mitgabe für das ganze Leben von Ihnen erhalten hat. Ihnen verdanken wir es, wenn wir an selbständiger Arbeit Gefallen und Befriedigung finden, denn Ihr freundliches Eingehen auf die schwächsten Leistungen erweckte Selbstvertrauen in uns und gab uns Hoffnung auch Höheres erreichen zu können. Sie haben uns gelehrt, auch im schwierigsten Berufe sich glücklich zu fühlen durch vollständiges Aufgehn in der Arbeit für denselben; an Ihnen haben wir schäßen gelernt die wunderbare Verbindung von peinlichster, rücksichtsloser Strenge gegen sich selbst mit freundlicher Milde gegen andere, und Ihrem unermüdlichem stets geduldigem Arbeiten an uns verdanken wir es, wenn aus der Thorheit der Jugend sich allmählich in uns das Gefühl für Pflicht entwickelte."-

Im Laufe seines Ehelebens traf ihn mancher bittere Schmerz, denn von sechs Kindern, welche geboren wurden, starben drei früh dahin. Besonders der Tod eines Töchterchens, das er den Sonnenschein seines Hauses nannte, versette ihn in tiefe Trauer. Davon abgesehn war seine Ehe, das Leben mit Frau und Kindern ein sehr glückliches. Die Gattin, außerordentlich streng erzogen, war, obwohl schwächlich, peinlich pflichtgetren und arbeitsam. Als die Töchter herangewachsen, erschien ihnen die Mutter als ein Wunder von unermüdlicher Thätigkeit und Aufopferungsfähigkeit. Zu ihrem Manne sah sie in schwärmerischer Liebe und Verehrung auf, und es war ihr ein schrecklicher Gedanke, daß er vielleicht vor ihr sterben könnte; dieser Schmerz wurde ihr erspart,. sie starb vier Jahre vor dem Gatten. Jede Mühe, jeden Verdruß suchte sie ihm fernzuhalten, er sollte nur der Wissenschaft leben und seine Familie ihm in den Mußestunden nur Freude bereiten, sie allein leitete die Wirtschaft und die Erziehung der Kinder. Die Töchter können sich nicht erinnern, je ein strenges

Wort von ihm gehört zu haben. Doch flößte er ihnen durch sein ruhiges, liebreiches und geistvolles Wesen den größten Respekt ein und feine hätte es über sich gebracht, irgend etwas gegen seinen Willen zu thun, und so leitete im Grunde doch er die ganze Häuslichkeit.

Bevor schwere Krankheit ihn heimsuchte, war seine Tagesordnung diese: Im Winter wie im Sommer stand er pünktlich um 4 Uhr morgens auf. Es kam manchmal vor, daß die Töchter, wenn sie spät in der Nacht von einer Tanzgesellschaft kamen, schon die Lampe im Arbeitszimmer des Vaters brennen sahen. Von 4 bis 8 arbeitete er für sich, der Vormittag war der Schule gewidmet, nachmittags war er wieder bei seiner Arbeit. Dann machte er einen Spaziergang und besuchte ein Gasthaus, in früherer Zeit, um mit Freunden, die sich da zusammenfanden, zu plaudern, später die Zeitungen zu lesen. Wenn er nicht eine Gesellschaft zu besuchen hatte, was er so wenig wie möglich that, ging er um 9 Uhr zu Bett. Ein, wie es scheint, ganz beseßter Tag, so daß ein junger Amerikaner, der 7 Jahre lang bei ihm in Pension war, einmal sagte: „Der Onkel ist nur bei Tische genießbar." Es fanden sich indessen doch noch Stunden, wo er sich der Familie widmete, der er dann bisweilen ein Drama vorlas. Er las sehr schön, ganz ohne Effekthascherei, in der Weise, wie ein mit der Dichtung vertrauter und für jede Wendung des Tertes empfindlicher Verehrer des Dichters es sich im Stillen

Aber es kam selten zu einem solchen Genuß, denn er wurde davon stark aufgeregt. Besonders ergreifend las er den König Lear und mit trefflichem Humor die Falstaffscenen. Seine beste Erholung fand er in einem Sommeraufenthalt während der großen Ferien, meistens an der See. Eigenhändig packte er dann das Porzellan ein, und die Familie glaubte, daß es nur so die Reise sicher überstehn würde. Und wenn es dann endlich zur Abfahrt kam und er sich im Freien befand, sang er ein lustiges Lied nach dem andern.

Nach dieser Schilderung von Schm.'s amtlichem und Privatleben versuchen wir nun seine Verdienste als Gelehrter zu würdigen. Außer einigen Schulbüchern, die er in Danzig verfaßte, beziehen sich alle seine Arbeiten auf die englische Literatur oder Philologie.

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In seinem Nachlaß finden sich mehrere starke Hefte mit Uebertragungen von englischen Gedichten, die, nach der sehr verschiedenen Schwärze der Tinte zu schließen, teils in seine Jugendjahre teils in das spätere Alter fallen. Er hatte Freude daran, da es ihm leicht wurde und er sich wohl auch bewußt war, daß er seinen Aufgaben mit gutem Geschmack gerecht wurde. Im Druck erschienen: „Lalla Rookh von Thomas Moore, 2. Auflage, 1876".*) Miltons Comus (in dem Vortrag Milton's dramatische Dichtungen 1864)". „Lieder der schottischen Cavaliere, ein Denkstein, gesezt den Manen des Dichters William Edmondstone Aytoun (Programm 1866)". „Macaulay, Lieder des alten Rom. 1853". Auch einige Essays von Macaulay hat er übersetzt, von welchen ein gelehrter, aber des Englischen nicht kundiger Freund sagte: „Nun kann ich mir vorstellen, warum die Engländer M.'s Prosa so rühmen." In Danzig hat sich Schm. auch an einer Uebersetzung des Othello versucht, dessen Verdeutschung durch L. Tieck ihm durchaus nicht Genüge that. Doch als er die eigene Arbeit näher prüfte, glaubte er es nicht besser gemacht zu haben, und sie mag wohl ins Feuer gewandert sein, denn in seinem Nachlaß hat sich nichts davon gefunden.**)

Die ersten Kenntnisse im Englischen empfing er nicht aus den saubersten Händen. Einen Lektor für diese Sprache gab es an der königsberger Universität noch nicht; wer sie lernen wollte, mußte sich an einen gebildeten Kaufmann wenden, dessen Stun*den aber teuer waren. So verabredete sich Schm. 1836 mit einem Studiengenossen, welcher in ebenso fümmerlichen Verhältnissen wie er lebte, bei einem arg heruntergekommenen, dem Trunf ergebenen Kommis für ein Geringes Stunden zu nehmen. Dieser verdankte sein Englisch einem vieljährigen Aufenthalt in London, wo er sich eine gewisse, für den bürgerlichen Verkehr ausreichende Fertigkeit darin erworben hatte. Nachdem die Schüler sich mit seiner Hilfe durch den Vicar of Wakefild hindurchgearbeitet, schlug Schm. sofort vor, sich an den King Lear zu wagen. Zum Verständnis des Stückes konnte der ungebildete

*) Gegen K. Lengner äußerte er, er habe das Gedicht nur überseßt, weil die Behauptung aufgestellt war, es sei nicht zu überseßen.

**) Der Vortrag „W. Scott, 1861" giebt nicht die Biographie, sondern eine anziehende Charakteristik des Dichters.

Lehrer freilich wenig beitragen, dies mußten die Schüler, soviel sie vermochten, sich selbst eröffnen, doch war er zur Befestigung in der Aussprache immerhin noch unentbehrlich. Nach wenigen Wochen konnte Schm. bereits einen englischen Brief an den Freund schreiben, der diesem nicht blos verständlich war, sondern auch korrekt und sogar elegant erschien. Später, in Danzig, hat dann Schm. noch Gelegenheit gesucht, sich durch Conversation mit englischen Kaufleuten oder Schiffskapitänen im Sprechen zu üben, doch seine feine und tiefe Kenntnis des Englischen hat er lediglich durch Selbststudium gewonnen.

Was ihn zum Englischen hinzog, mochte wohl von Hause aus die Bewunderung für Shakespeare sein, jedenfalls sind diesem seine durch mehr, als vierzig Jahre fortgesetzten Studien fast ausnahmslos zugewandt. Die erste Frucht seiner Beschäftigung mit dem Dichter war das 1842 erschienene Buch „Sacherklärende Anmerkungen zu Sh.'s Dramen ". Er selbst hielt nicht viel davon und entschuldigte gewissermaßen die Veröffentlichung dieser Schrift mit seiner bedrängten Lage in jener Zeit. Aber bei dem damaligen Stande der Sh.-Erklärung war das Buch eine sehr willkommene Erscheinung. Hier werden alle brauchbaren Anmerkungen der alten englischen Erklärer zusammengestellt, die Quellen der einzelnen Dramen mehr oder weniger ausführlich mitgeteilt und die literarische Geschichte derselben besprochen. Die durch 16 Seiten gehende Vorrede erweist den Verfasser als vortrefflichen Stilisten in seiner Muttersprache und zeugt in den. Angriffen gegen L. Tieck, welcher damals nach A. W. v. Schlegel als der beste Kenner Sh.'s galt, von einem bedeutendem Talent für scharfe und geistreiche Polemik. Heutzutage werden wohl alle Ausstellungen, welche Schm. darin Tieck gegenüber vorbringt, als berechtigt anerkannt.

Nachdem er sich eine umfassende Belesenheit in der englischen Literatur erworben, schrieb er 1847 die Programmabhandlung ,,Essay on the Life and dramatic Writings of Ben Jonson." So wertvoll die Biographie sein mag, am anziehendsten sind doch die Abschnitte, wo Schm. auf seinen Lieblingsheros zu sprechen kommt. Einige schöne Seiten werden der Schilderung des historischen Bodens, auf dem Sh. erwuchs, des „goldenen Alters von Alt- England" während der Regierung der Königin Elisabeth

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