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Dr. Alexander Schmidt.

Eine Lebensskizze.

Alexander Schmidt wurde am 5. Dezember 1816 zu Kaschin in Rußland, Gouvernement Twer, von deutschen Eltern geboren. Der Vater hatte sich dem Studium der Geschichte zu widmen gewünscht, und seine Liebe für diese Wissenschaft hat er bis in seine greifen Jahre festgehalten, aber infolge der geringen äußeren Aussichten, welche sie ihm, dem mittellofen jungen Mann, darbot, konnte er sie nur in der Weise befriedigen, daß er die besten Geschichtswerke zum Gegenstand seiner Lektüre wählte. Er entschied sich für die sicherer lohnende Medizin und ging, 19 Jahre alt, nach Kaschin, wo er als Arzt auf den großen Gütern eines reichen russischen Fürsten prakticierte. Dort heiratete er die Tochter des deutschen Verwalters, ein schönes, gutes und liebreiches Mädchen. Schm. sprach oft mit tiefer Rührung von der großen Hingebung, Nachsicht und Geduld, mit der seine Mutter die Kinder, welche im Laufe der Zeit aus der Ehe hervorgingen, behandelte.

Aus seiner frühesten Kindheit erinnerte er sich, daß er und sein älterer Bruder nach damaliger russischer Sitte rote Müßen, weiße Jacken und rote weite Hosen trugen und daher von den zahlreichen Truthähnen, die sich auf den Höfen umhertrieben, viel zu leiden hatten. Er war 21⁄2 Jahre alt, als die Eltern nach Preußen zu ziehn beschlossen, um den Kindern eine deutsche Bildung zukommen zu lassen. Von dieser Reise blieb ihm ein Unfall im Gedächtnis, der seinem Bruder leicht das Leben hätte kosten können. Die Familie fuhr in zwei Wagen, in dem, worin die Kinder waren, befand sich die russische Kinderfrau, um sie zu behüten. Da ste aber meistens betrunken war, konnte es geschehn,

Ges. Abh. v. Dr. Alex. Schmidt.

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daß, während sie neben einem tiefen Abhang fuhren, an den unmittelbar ein Teich stieß, plößlich der Knabe aus dem Wagen fiel und den Abhang hinabrollte. Der Schrecken war groß, doch zum Glück hielt ein zufälliges Hindernis der Thalwand den Fall auf.

Nachdem die Familie kurze Zeit in dem Städtchen Schwetz gewohnt, wurde der Vater Kreisphysikus in Preußisch-Eylau, wo er fast bis zu seinem Tode blieb. Hier lebte Schm. von seinem 5. bis 13. Jahre. Er war ein stilles, oft kränkliches Kind, verlebte aber diese Zeit herrlich und in Freuden, denn es wurde den Kindern die größte Freiheit gestattet. Schm. fonnte es kaum erwarten, bis er ebenso wie die beiden älteren Brüder, die er täglich zur Stadtschule geleitete, dieser selbst übergeben wurde. Schon im fünften Lebensjahr wurde er ihr zugeführt; sie war freilich nicht der Art, daß sie den kindlichen Geist übermäßig anstrengte. Der gutmütige Rektor fandte bisweilen die Knaben in seinen Garten, um sich Pflaumen oder anderes Obst zu schütteln, ließ es auch zu, daß einer oder der andere in der Schulzeit sich hinausschlich und in dem nahen Teiche ein Bad nahm. Schm. erinnerte sich, welche Freude es ihm als Knabe gemacht, im Frühling, wenn die Bäche mit reichlich sprudelndem Wasser gefüllt waren, ihren Lauf aufwärts zu verfolgen, bis er ihre Quelle gefunden; ein Vorspiel für seine reifen Jahre, wo er sich auch nicht beruhigen konnte, bevor er einer wissenschaftlichen Materie auf den Grund gekommen. Auf die Stadtschule folgten noch Privatstunden bei einem Prediger, die ihn soweit förderten, daß er mit 12 Jahren in die diesem Alter entsprechende Klasse des Friedrichskollegiums in Königsberg eintreten konnte. Hier wurde er zu dem Major von Madeweiß, einem Freunde des Vaters, in Pension gegeben, der ihn sehr liebgewann. Seine ungewöhnlichen Gaben müssen sich schon damals kundgegeben haben, denn der Major sagte einmal: „Wenn der Junge nur halb so klug ist, wie er aussieht, so wird er es weit bringen." Warum er in seinen letten Schuljahren aus dem Friedrichskollegium nach dem kneiphöfischen Gymnasium übersiedelte, ist nicht bekannt; jedenfalls hat ihn der Wechsel der Schule nicht aufgehalten. Seinen Kindern erzählte er, auf der Schule habe er nicht viel gearbeitet; es ging ihm eben alles leicht von der Hand. Um so mehr las er und

besonders Schiller, den er am meisten liebte, eignete er sich so an, daß er das Beste aus den Dichtungen seines Lieblings für Lebenszeit in seinem sicheren Gedächtnis bewahrte. Goethe stand ihm in zweiter Linie*); auch mit Shakespeare muß er sich schon damals befreundet haben.

Eine Schülerliebe fällt in diese Zeit, doch mag er sich gegen die jüngere Schwester, seine Vertraute, nicht dazu bekennen. Er schreibt: „Es hat mir ungemein viel Spaß gemacht, daß Du mich für schrecklich verliebt hältst. Ich sage Dir, ich bin jezt so ungeheuer eraltiert, daß ich Verse machen muß, sonst fahre ich aus der Haut.

All mein Denken, all mein Trachten,
All mein Hoffen, all mein Schmachten,
All mein Lieben, all mein Sehnen,
Alle Seufzer, alle Thränen
Richten sich auf sie, auf sie!

Durch die Büsche, durch die Felder,
Durch die Berge, durch die Wälder
Flieh' ich, wenn ich will verzagen,
Der Natur mein Leid zu klagen,
Aber Ruhe find ich nie."

Die Verse sind wahrscheinlich ein Impromptu.

Michael 1834 machte er sein Abiturienteneramen mit dem besten Erfolg. Kurz vor demselben schrieb er an die Schwester in tragischem Humor, dessen Wendungen an den Stil Shakespeares erinnern: „Sollte ich durchfallen, so wirst Du mich schwerlich im Leben wiedersehn, ich werde dann entweder recht weit in die Welt oder aus der Welt gehn; zum ersteren gehört ein Schiff, zum letteren ein Griff." Und nach einem Tage der schriftlichen Prüfung: Meine deutsche und griechische Arbeit hat den Herren beliebt gut zu finden, und ich will mich nicht bemühen es ihnen abzudisputieren. Meine Opera haben mir nie gefallen und wer

"

*) Anders urteilte er als Mann. Er äußerte einmal, er würde es allenfalls begreifen, wenn es dereinst einem Dichter gelänge Schiller gleichzukommen, aber für ganz unmöglich halte er einen zweiten Goethe, denn Verse wie Nur nicht lesen, immer singen Und ein jedes Blatt ist dein“ und Die Scherben vor meinem Fenster Bethaut' ich mit Thränen, ach! Als ich am frühen Morgen Dir diese Blumen brach“ würden stets unnachahmbar bleiben.

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den es in Ewigkeit nicht." Diese Neigung, seine Leistungen gering zu schätzen, ist ihm in der That bis ans Ende seines Lebens geblieben.

Mit schönen Kenntnissen ausgerüstet kam er auf die Universität und widmete sich dem Studium der alten Sprachen und der Geschichte. Er trat in eine Studentenverbindung ein und dies hatte die Folge, daß er, durch Geist und Witz ein vortrefflicher Gesellschafter, für einige Zeit in den Strudel akademischer Freuden gerissen wurde und zwar die Kollegien regelmäßig besuchte, aber nur einen sehr geringen Teil der Mußezeit den Wissenschaften zuwandte. Er war kein Raufer, doch immer bereit, für seine Ehre oder die seiner Verbindung, deren Senior er bald geworden, auf Mensur zu treten. Er stimmte auch in den Ton seiner Umgebung ein, in welcher von wissenschaftlichen Dingen wenig gesprochen wurde; dennoch fühlte man, wie sehr er geistig den Kreis seiner Freunde überragte und einer derselben sagte: „Wenn einer von uns sich einen Namen macht, so wird es Schmidt sein."

Uebrigens zog sich schon durch seine frischeste und heiterste Jugendzeit ein dunkler Faden, der nie geschwunden ist, ein gewisser Hang zum Schwarzfehen, woraus sich auch sein stetes Mißtrauen in die eigenen Arbeiten erklären mag. So quälte er sich als Student, obwohl von blühender Gesundheit, mit der Einbildung, er leide an einer gefährlichen Verschleimung, kaufte sich eine kleine Schrift über den Verlauf dieser Krankheit und meinte darin seinen Zustand durchaus wiederzuerkennen. Einmal, als ihm sein Auswurf verdächtig vorkam, hielt er sogar einen baldigen Tod an der Schwindsucht für gewiß und bereitete sich darauf durch die Lektüre des Platonischen Phädon vor. Höchst erfreut war er, als der Arzt, den er befragte, ihn auslachte, und trug die ganze Geschichte mit ergötzlicher Komik den Freunden vor. Uebrigens zeigte er die größte Besonnenheit und den entschiedensten Mut, wenn er einer wirklichen Gefahr gegenüberstand.

Die lustige Zeit des akademischen Leichtsinns hörte nach wenig mehr als zwei Semestern auf. Als der Vater an den Major von Madeweiß einen bekümmerten Brief schrieb, morin er die Befürchtung aussprach, daß alle schöneu Hoffnungen, die dieser Sohn in ihm erweckt hätte, doch nicht würden erfüllt werden, und der Major den Brief dem Sohne mitteilte, faßte dieser den Ent

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